Autor Lütz rechnet mit Auskunft von Ex-Papst zu Lügenvorwurf

"Man sollte die Erklärung von Benedikt XVI. abwarten"

Der Autor Manfred Lütz erwartet vom früheren Papst eine "authentische Antwort" auf die Frage, wie es zur Verwirrung um dessen Aussagen beim Missbrauchsgutachten kam. Benedikt XVI. sei einer der ehrlichsten Menschen, die er kenne.

Joseph Kardinal Ratzinger wurde am 19. April 2005 vom Konklave zum neuen Papst Benedikt XVI. gewählt (KNA)
Joseph Kardinal Ratzinger wurde am 19. April 2005 vom Konklave zum neuen Papst Benedikt XVI. gewählt / ( KNA )

KNA: Herr Lütz, noch immer wird in Medien darüber gerätselt, was der damalige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger wusste, als im Jahr 1980 ein Gremium unter seiner Leitung die Aufnahme eines pädophilen Priesters ins Erzbistum München und Freising beschloss. Wissen Sie, was er wann über diesen Mann wusste, der später in Bayern noch mehrere Male übergriffig wurde?

Manfred Lütz (Psychiater, Theologe und Bestsellerautor): Nein, das weiß ich nicht. Ich bin ja kürzlich als "Ratzinger-Berater" bezeichnet worden, das war ich aber nie. Bei der inzwischen berühmten Sitzung war weder von Missbrauch noch von einem Einsatz des Mannes in der Seelsorge die Rede, da konnte er mutmaßlich also nichts erfahren.

Manfred Lütz / © Julia Steinbrecht (KNA)
Manfred Lütz / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Im Übrigen gibt er an, dass er in allen vier ihm vorgehaltenen Fällen noch nicht einmal Kenntnis von der Missbrauchsvorgeschichte der betroffenen Priester hatte. Und den Gutachtern ist es nicht gelungen, auch nur einen einzigen handfesten Beweis dafür zu finden, dass das nicht stimmt. In der Pressekonferenz benannten sie zwei Zeugen, die wenig glaubwürdig sind, weil sie heute das Gegenteil von dem sagen, was sie vor Jahren beteuerten.

KNA: Sie haben unlängst in einem Beitrag für die NZZ den Ratzinger-Teil im WSW-Gutachten zum Missbrauch in München kritisiert. Das gilt für die Fragen der Anwälte, vor allem aber für die Antworten von Benedikt XVI. Wie konnte es dazu kommen?

Lütz: Als ich die wirklich ganz unangemessenen Antworten Benedikts las, war ich ziemlich entsetzt. Das war überhaupt nicht seine Sprache und gehörte allenfalls ins kirchenrechtliche Seminar. Allerdings waren die Fragen so unprofessionell formuliert und glichen in Teilen Anklageschriften, dass sich da jeder Rechtsrat geholt hätte. Aber mir ist schleierhaft, wie ein solcher juristischer Schriftsatz dann als Benedikts Antwort rausgehen konnte.

KNA: Benedikt XVI., in dessen Auftrag Sie 2003, als er noch Präfekt der Glaubenskongregation war, einen Kongress zum Thema Missbrauch organisiert haben, erscheint durch sein heutiges Hin und Her vielen als nicht mehr glaubwürdig. Wie sehen Sie ihn heute?

Lütz: Papst Benedikt ist einer der ehrlichsten Menschen, die ich kenne. Das Hin und Her will er ja erklären und man sollte so fair sein, das abzuwarten. Ich habe ihn persönlich im Vatikan als den Menschen erlebt, der am meisten in der weltweiten katholischen Kirche gegen Missbrauch unternommen hat. Ich war dabei, als er 1999 in einer vertraulichen Sitzung der Spitzen des Vatikan als einziger gegen den Widerstand aller für ein entschiedeneres Vorgehen gegen Missbrauchspriester eintrat.

Er hat im Alleingang erreicht, dass die Glaubenskongregation 2001 die Zuständigkeit für das Thema bekam, so dass der von Ihnen genannte erste vatikanische Missbrauchs-Kongress mit internationalen Experten überhaupt stattfinden konnte. Er traf sich als erster Papst mehrfach mit Opfern, entließ so viele Missbrauchspriester wie kein Papst zuvor, prangerte die Schuld der Kirche an, aus Angst um ihren guten Ruf die Opfer vergessen zu haben. Ausgerechnet diesen Mann jetzt an den Pranger zu stellen, ist aus meiner Sicht total ungerecht.

Die Erklärung von Benedikt XVI. zum Münchner Gutachten

In einer Stellungnahme hatte der emeritierte Papst Benedikt XVI. Anfang vergangenen Jahres eine wichtige Aussage seiner Einlassung aus dem Münchner Missbrauchsgutachten korrigiert. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert die von seinem Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, gegenüber KNA abgegebene Stellungnahme in vollem Wortlaut:

Münchner Missbrauchsgutachten, Westpfahl, Spilker, Wastl, WSW / © Sven Hoppe/dpa-POOL (KNA)
Münchner Missbrauchsgutachten, Westpfahl, Spilker, Wastl, WSW / © Sven Hoppe/dpa-POOL ( KNA )

KNA: Wenn Sie ihm raten könnten: Wie kommt er aus all dem wieder raus?

Lütz: Warten wir seinen Text ab. Er wird ganz sicher sehr authentisch antworten. Ich hoffe, die Menschen sind bereit, ihm zuzuhören.

KNA: In Ihrem Gastbeitrag fordern Sie eine staatliche Untersuchung der kirchlichen Missbrauchsfälle. Wer sollte das machen und welchen rechtlichen Status hätte eine solche Überprüfung?

Lütz: Seit über 10 Jahren fordere ich eine wirklich unabhängige staatliche Untersuchung beider Kirchen und des Deutschen Olympischen Sportbunds. Die Bischöfe wollen dagegen noch 22 Berichte von 22 Diözesen in der Tagesschau sehen, die wissenschaftlich wertlos, weil nicht vergleichbar sind. Man hat so etwas mal Selbstmord aus Angst vor dem Tod genannt. Wichtig wäre, dass Experten ohne Profilierungsbedürfnisse oder innerkirchliche Agenda die staatliche Untersuchung leiten. Sie könnte am Parlament angesiedelt sein oder von der Regierung beauftragt werden.

Das Interview führte Ludwig Ring-Eifel.

Quelle:
KNA
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