Das Militär hat eines der schlimmsten Blutvergießen seit der Gründung von Bangladesch im Jahr 1971 beendet. "Das Land hat viel gelitten, die Wirtschaft wurde getroffen, viele Menschen wurden getötet - es ist Zeit, die Gewalt zu beenden", sagte Generalstabschef Waker-Uz-Zaman.
Millionen von Bangladeschern strömten am Montag nach Wakers Ankündigung und der Nachricht über den Rücktritt und die Flucht von Premierministerin Sheikh Hasina jubelnd auf die Straßen der Hauptstadt Dhaka. Nach einem Treffen mit Führern verschiedener politischer Parteien im Armeehauptquartier kündigte Waker die Bildung einer Übergangsregierung an. Staatspräsident Mohammed Shahabuddinn löste inzwischen das Parlament auf.
Yunus - Intimfeind von Diktatorin Hasina
Am Dienstag kündigte Waker an, sich mit den Anführern der Studentenproteste treffen zu wollen. Diese wollen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus als Chef der Übergangsregierung. "Jede andere Regierung als die von uns vorgeschlagene wird nicht akzeptiert", stellte Nahid Islam, einer der Hauptorganisatoren der Studentenbewegung, in einem Facebook-Video klar.
Laut Medienberichten vom Dienstag hat Yunus, der sich derzeit in Paris aufhält, die Rolle als "Chefberater" der Übergangsregierung des überwiegend islamischen Landes akzeptiert. Yunus war der Intimfeind von Hasina. Deren Regierung überzog den Pionier der Mikrokredite mit mehr als 190 Anklagen.
Yunus bezeichnete Bangladesch nach dem Rücktritt von Hasina am Montag als "freies Land". "Sie benahm sich wie eine Besatzungstruppe, eine Diktatorin, eine Generalin, die alles kontrollierte", sagte Yunus in einem Interview mit dem indischen Nachrichtenportal "The Print".
Dramatische Wochen des Aufstands
Der Flucht von Hasina waren dramatische Wochen vorausgegangen. Die Proteste gegen eine Quotenregelung zur Bevorzugung der Nachkommen von Veteranen des Befreiungskriegs gegen Pakistan 1971 im öffentlichen Dienst waren in einen Aufstand gegen die zunehmend autoritär regierende Hasina umgeschlagen.
Thomas Kean, Bangladesch-Experte der Politikberatungsgesellschaft International Crisis Group, sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur: "Hasina besiegelte ihr Schicksal, als sie beschloss, auf die Proteste mit Brutalität und Arroganz zu reagieren, anstatt einen ernsthaften Dialog mit den Protestführern zu suchen." In den letzten Wochen wurden mehr als 300 Menschen von der Polizei, Paramilitärs und Mitgliedern der regierenden Awami Liga erschossen.
Die inzwischen 76 Jahre alte Hasina hatte in ihrer 15-jährigen Regierungszeit alle staatlichen Institutionen unter ihre Kontrolle gebracht und ließ Opposition, Medien und kritische Stimmen unterdrücken. Seit 2008 gewann sie sämtliche Parlamentswahlen.
Inflation und Korruption
Vor der Wahl 2018 wurde Khaleda Zia, Führerin der größten Oppositionspartei "Bangladesh Nationalist Party" (BNP), wegen angeblicher Korruption unter Hausarrest gestellt. Am Montagabend hob Präsident Shahabuddin den Hausarrest auf.
Die Wahl im Januar 2024 gewann erwartungsgemäß wieder die AL, nachdem die BNP die Wahl boykottierte und in den Wochen vor der Wahl die gesamte Parteispitze sowie mehr als 20.000 weitere Oppositionelle festgenommen worden waren. Die Protestbewegung bezog ihre Stärke aber auch aus dem Niedergang der Wirtschaft.
Nach dem Ende der Militärherrschaft 1990 wuchs die Wirtschaft schnell und holte Millionen Menschen aus der Armut. Doch seit der COVID-19 Pandemie hatte die Regierung Mühe, die Inflation in den Griff zu bekommen, insbesondere die hohen Lebensmittelpreise. Hinzu kamen Missmanagement, Korruption und Vetternwirtschaft.
"Die Kirchen haben zu alledem geschwiegen"
Die rund 600.000 Christen in Bangladesch könnten nach dem Ende des Regimes in eine prekäre Lage geraten. Weil sich die AL lange als säkulare, liberale Partei verstand, genoss sie unter Christen große Sympathie. Als sich die Partei unter Hasina zunehmend in eine korrupte, demokratiefeindliche, menschenrechtsverachtende Organisation verwandelte, hielten die Christen, vor allem ihre Führungspersönlichkeiten, weiter zu ihr. "
"Die Kirchen haben zu alledem geschwiegen", sagt Rock Rozario, Redakteur des asiatischen Nachrichtenportals Ucanews der KNA telefonisch aus Dhaka. Auf die tödliche Gewalt gegen Studenten hätten sie Mitte Juli lediglich mit einem Aufruf zu Friedensgebeten reagiert.
Bangladesch stand zwischen 1975 und 1990 unter Militärherrschaft. Nach der Rückkehr zur Demokratie hielt sich die Armee weitgehend aus der Politik heraus. Sheik Hasina stützte ihr Regime auf die Polizei und die berüchtigte Eliteeinheit "Rapid Action Battalion", die laut Menschenrechtsorganisationen seit 2009 für Tausende Fälle von Verschwindenlassen, außergerichtliche Hinrichtungen und Folter verantwortlich gewesen sein soll.
Wie geht es nun weiter?
Nach dem Fall von Hasina gilt das Militär den Bangladeschern als Garant der Stabilität. "Dass wir wieder das Militär akzeptieren, ist ein Rückschritt", sagt Rozario traurig. Wer langfristig das politische Machtvakuum füllen wird, ist offen. Viele hochrangige Mitglieder der AL sind mit Hasina und der Korruption verbunden. "Doch es gibt auch eine jüngere Fraktion in der AL, die die Macht übernehmen könnte", heißt es in einer ersten Analyse der australischen Denkfabrik "Lowy Institute".
Die "relativ säkulare" Oppositionspartei BNP wäre eine natürliche Erbin, habe aber ihren Einfluss im Land eingebüßt. "Die am besten organisierten Alternativen sind verschiedene islamistische Gruppen ... Diese wurden über viele Jahre von der Macht ferngehalten, doch es besteht eine erhebliche Chance, dass eine von Islamisten geführte Koalition eine Wahl gewinnen könnte, wenn sie heute abgehalten würde, selbst gegen den Willen der Armee."