KNA: Wenn Sie die deutschen Synodalversammlungen und diese europäische Etappe hier in Prag vergleichen, was sind die wesentlichen Unterschiede?
Dr. Beate Gilles (Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz): Es fühlt sich gleich an und doch ganz anders. Es ist immer eine besondere Erfahrung, wenn man so rasch spürt, dass man gemeinsam auf dem Weg ist.
In beiden Fällen ist man mit vielen Menschen zusammengeworfen, und dann heißt es zusammen arbeiten. Ich finde die vielen Zeiten der Stille hier besonders gut und wohltuend, denn das Zuhören ist sehr anstrengend mit den vielen Sprachen und Übersetzungen. Da kann man dann noch mal in Ruhe justieren und sich fragen, wo wir jetzt stehen. Was auch anders ist: Die Vorsicht. Welche Themen werden angesprochen und wie werden sie angesprochen?
KNA: Zu diesen Themen gehören auch die Folgen des sexuellen Missbrauchs für die Kirche. Da gab es sehr unterschiedliche Beiträge: Die Iren forderten radikale Konsequenzen, viele Osteuropäer regierten eher defensiv. Wie kann man das zusammenbringen?
Gilles: Bei der Spannbreite fragt man sich wirklich manchmal: Sind wir hier in derselben Versammlung und an demselben Punkt? Eigentlich haben wir ja ein weltweites Grundlagendokument, das für alle gleich ist. Und dann gibt es dennoch derart unterschiedliche Wahrnehmungen, das ist schon bemerkenswert!
Gestern wurde in den Kleingruppen über das Thema Spannungen gesprochen, und in meiner Kleingruppe kam ganz schnell von den Osteuropäern die Bemerkung: Es ist eine Spannung zwischen Ost und West. Ein Teilnehmer aus Osteuropa sagte: Ja, der Westen ist schon weiter in der Entwicklung! Ich habe das Gefühl, dass es auch darum geht, welche der Lesarten nun tonangebend wird. Weil hier einfach die unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinandergelegt werden, ist das noch nicht greifbar, aber das Ringen ist in den Statements zu spüren.
KNA: Kann die Gemeinschaftserfahrung von Prag die zuvor oft beschworene Spaltungsgefahr durch einen deutschen Sonderweg eindämmen? Gilles: Diese Sorge wird nicht konkret greifbar. Sie wird jedenfalls nicht so thematisiert, dass man das bearbeiten könnte.
KNA: Zur Methode der Synode gehören das Zuhören und die Bereitschaft, sich selbst durch das verändern zu lassen, was man hört. Ist Ihnen so etwas hier in Prag schon passiert?
Gilles: Mein Bild wird weiter, indem ich die Unterschiedlichkeit wahrnehme. Zum Beispiel merke ich beim Thema Frauenbeteiligung, dass das von uns ganz anders gefühlt wird als von manchen Frauen in Osteuropa. Und diese großen Unterschiede wurden auch in dem Grundlagendokument noch kaum reflektiert.
Wir sagen immer: Wir müssen nach draußen gehen, auf die zugehen, die der Kirche fern sind. Aber dann stelle ich hier fest, dass innerhalb der Kirche in Europa die Wege zueinander manchmal weiter sind als die zwischen mir und denen, die außerhalb der Kirche stehen. Das macht meinen Blick weiter, aber es ist keine ganz komfortable Erfahrung.
KNA: Was wünschen Sie sich von den Schlussdokumenten dieser Europa-Etappe in Prag?
Gilles: Ich würde mir wünschen, dass der Umgang mit Unterschieden, die wir hier erlebt haben, sich darin widerspiegelt. Dass die Vielfalt etwas Kreatives sein kann. Und dass die Spannungen zwischen der Lehre der Kirche und den konkreten Situationen vor Ort, die hier immer wieder Thema waren, dass die darin aufscheinen.
KNA: Können die deutschen Delegierten hier in Prag dazu beitragen, Vorurteile gegen den deutschen Synodalen Weg auszuräumen und Brücken zu schlagen?
Gilles: Natürlich stehen wir unter Beobachtung, das merken wir. Aber dann zeigt sich: Die Deutschen spielen überhaupt keine Sonderrolle. Wir sind eine von 39 europäischen Bischofskonferenzen und in dieser Funktion hier. Punkt.
Aber es gibt dieses Phänomen, dass man sagt: Gut, dass es auch das gibt! Oder dass wir Zuspruch bekommen – und zwar immerhin aus einer ganzen Reihe von Ländern. Aber auch von Einzelnen in anderen Delegationen, denn sogar innerhalb der Länder gibt es manchmal eine erhebliche Bandbreite der Positionen. Und die wenigsten wissen wirklich, was der Synodale Weg ist.
Das Interview führte Ludwig Ring-Eifel.