Bei der Herbstvollversammlung der katholischen Bischofskonferenz in Fulda Ende September sagte der Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, auf die Frage von Journalisten, ob es nicht an der Zeit sei, auch über die Zusammenlegung von Bistümern nachzudenken: "Die Frage, wie viele Diözesen es in Deutschland gibt, haben wir, ehrlich gesagt, noch nie wirklich in einer sachlichen Weise besprochen."
Angesichts des Rückgangs der Gläubigen von etwa 28 Millionen 1990 auf rund 21 im Jahr 2021, stellt sich aber die Frage, ob wegen des Priester- und Gläubigenmangels nicht doch 27 Bistümer auf Dauer zu viel sind.
DOMRADIO.DE: Ist es aus historischer Sicht für Deutschland ungewöhnlich, dass Bistümer aufgegeben werden? Hat es das schon oft gegeben?
Prof. Dr. Gisela Muschiol (Professorin für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn): Das hat es durchaus schon gegeben. Nicht regelmäßig, aber man könnte sagen, in zeitlichen Schüben.
Eine Vielzahl aufgegebener Bistümer gibt es natürlich in der Zeit der Reformation. Dort gehen etliche Bistümer zum Protestantismus über und werden dann im Laufe der Zeit aufgegeben, weil die jeweiligen Bischöfe keine bischöfliche Funktion mehr haben.
Ich denke da zum Beispiel an Minden, Verden oder Halberstadt. Es gibt eine Fülle von Bistümern, die in der Zeit der Reformation allmählich aufgegeben werden. Eine solche Bistumsniederlegung ist kein zentral gesteuerter Akt, sondern es ist eine Folge der reformatorischen Ereignisse.
Das bedeutet: Wenn Sie kein katholisches Domkapitel mehr haben, dann kann natürlich auch kein katholischer Bischof mehr gewählt werden. Dann wählen die im Amt befindlichen Domherren möglicherweise einen protestantischen Landesherrn, denn die landesherrliche Funktion bleibt den Bistümern oft erhalten, aber sie sind keine kirchlichen Einheiten mehr.
Dann gibt es durch die Säkularisation 1803, also nach der Französischen Revolution und nach der Zerschlagung der gesamten Reichskirche durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803, eine Vielzahl an Bistumsaufösungen. In dieser Zeit werden allen Bistümern, allen Abteien, allen kirchlichen Institutionen sämtliche Vermögen und sämtliche politischen Rechte entzogen und damit sind die Bistümer sozusagen aufgelöst.
Wenn an einem Ort noch ein Bischof amtiert, dann bleibt die Struktur offiziell erhalten. Aber es gibt keinen Besitz mehr, der den Bischof unterhalten könnte und ähnliches. Für die Kirche in Deutschland ist das tatsächlich zwischen 1803 und 1818 eine sehr schwierige Zeit, bis das erste Konkordat abgeschlossen wird.
Es gibt am Ende dieser Phase noch genau drei amtierende Bischöfe in Deutschland. Alle anderen Bistümer sind vakant, und es gibt auch keinerlei Institutionen mehr im Hintergrund. Bei der Neuerrichtung spielen dann die Landesgrenzen ein entscheidende Rolle. Ein gutes Beispiel dafür ist das Bistum Konstanz, das vor seiner Auflösung länderübergreifend war. Große Teile der Schweiz gehörten zum Bistum Konstanz und die Neuformierung von Bistümern in den Länderkonkordaten folgte dann den Landesgrenzen.
Das bedeutet, es wurde mit dem Königreich Württemberg verhandelt, Ergebnis war das Bistum Rottenburg-Stuttgart, es wurde mit dem Großherzogtum Baden verhandelt, Ergebnis war das Erzbistum Freiburg, überdies entstand das neue Bistum Limburg.
Das Erzbistum Köln wurde schon von der französischen Besatzung komplett aufgelöst. Statt dessen wurde das Bistum Aachen gegründet, allein durch eine Entscheidung Napoleons. 1821 wurde Aachen wieder aufgelöst und in das neu errichtete Erzbistum Köln wieder eingegliedert. Seine Wiedererrichtung verdankt es – wie das Bistum Berlin – dem Preußenkonkordat von 1929. Zusammengefasst: Historisch wurden Bistümer durchaus aufgelöst oder es entstanden neue aus ehemaligen Bistumsregionen, aber in der Neuzeit gab es keine Fusionen von Bistümern, wie das derzeit in die Diskussion gebracht worden ist.
DOMRADIO.DE: Es gibt also kein historisches Beispiel, dass zwei Bischöfe sich darauf geeinigt hätten, ihre beiden Bistümer zusammenzulegen?
Muschiol: Es gibt ein Beispiel für eine Zusammenlegung, die aber eher unabsichtlich erfolgt ist. Das Bistum Hamburg wird im 9. Jahrhundert mit dem Bistum Bremen zusammengelegt, das neue Bistum heißt dann Erzbistum Bremen-Hamburg.
Das ist aber ein Ereignis des frühen Mittelalters und hängt mit den Überfällen der Normannen auf die Stadt Hamburg zusammen. Und da angesichts von Kriegssituationen und Überfällen keine kirchliche Organisation in Hamburg mehr aufrechtzuerhalten ist, wird mit päpstlicher Genehmigung das Bistum Bremen der neue Hauptsitz des Erzbistums. Aber das ist keine strukturierte oder absichtsvolle Zusammenlegung, sondern eine durch eine Notsituation herbeigeführte neue Struktur.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie schon einige Beispiele genannt, wie Bistümer aufgelöst wurden. Trotzdem gilt ja: Ein Bistum ist ja nicht nur einfach eine Verwaltungseinheit wie ein Bundesland, sondern der Bischof gilt als geistlicher Nachfahre, als Nachfolger der Apostel. Kann man denn so einen Bischofssitz einfach so aufgeben?
Muschiol: Ich würde zwischen Person des Bischofs und Bistum unterscheiden. Wenn Sie keinen "Nachfolger der Apostel” mehr haben, ist auch die Struktur hinfällig. Dafür steht tatsächlich die Zeit zwischen 1803 und 1818 im damaligen Deutschen Reich. Es gibt in der Situation keine "Nachfolger der Apostel” mehr und dann sind die bisherigen Strukturen zumindest zu diskutieren.
Und genau das passiert ja in den Konkordaten und sogenannten Zirkumskriptionsbullen nach der Säkularisation. Es werden neue Bischofssitze geschaffen, die haben häufig keine bischöfliche Tradition, aber sie bedienen die landesherrlichen Grenzen, die für die jeweiligen Herrscher entscheidend sind. Interesse sowohl der katholischen wie auch der protestantischen Fürsten ist es, ein mögliches Bistum völlig in den eigenen Landesgrenzen zu haben.
Letztlich ist das die Installation eines landeskirchlichen Systems auf Ebene der Bistümer. In diesem Zusammenhang ist die Organisationseinheit wichtiger als die Idee des Bischofs als Nachfolgers der Apostel.
DOMRADIO.DE: Jetzt befinden wir uns ja heute in einer sehr schnelllebigen Zeit. Vieles ändert sich. Und Sie haben angesprochen, dass vor etwa 200 Jahren viele Bistümer neu oder wieder gegründet wurden. Sind denn diese 200 Jahre alten Strukturen angesichts der aktuellen Kirchenentwicklung jetzt überholt? Und wäre da ein Zusammenlegen nicht doch der richtige Schritt?
Muschiol: Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit, weil Bistümer natürlich auch Identitäten schaffen. Ich finde, man kann das sehr gut am Beispiel des Bistums Münster sehen. Als die große Neuordnung der Kirche in Deutschland nach der Wiedervereinigung geschah, gab es auch Überlegungen, den Norden der Bundesrepublik kirchlich völlig neu zu strukturieren. Das ist nicht passiert. Das heißt, die Anteile, die das Bistum Münster bis zur Nordsee hat, sind beim Bistum geblieben, also das Oldenburger Offizialat. Und das hatte durchaus etwas mit Identitäten zu tun.
Als Beispiel für ein neues Bistum kann man da das Bistum Essen nehmen, das aus den drei Bistümern Paderborn, Münster und Köln entstanden ist. Obwohl es als Bistum noch recht jung ist, ist da inzwischen eine Essener Identität gewachsen. Und auf solche Identitäten muss man auf jeden Fall Rücksicht nehmen.
Das ist durchaus eine Erfahrung, die wir aus der Zusammenlegung von Pfarreien gewinnen. Bei diesen Fusionen hat man offenbar mitunter gedacht, dass Identitäten irrelevant sind. Aber das sind sie nicht. Und wie bei der Fusion von Pfarreien müsste man derartige Identitäten auch bei etwaigen Fusionen von Bistümern in die Diskussion einbeziehen.
Gleichzeitig, finde ich, muss man sehr genau überlegen, wie die Personalsituation aussieht: Wenn kein Personal mehr vorhanden ist, das in den Pfarreien das Priesteramt ausfüllen kann, dann ist natürlich zu fragen, ob nicht das "Folgepersonal”, also diejenigen aus der Gruppe der Priester, die Bischof werden können, nicht noch weniger sind. Ein Bischof braucht Leitungskompetenzen, ein Bischof braucht Menschenführungskompetenz, ein Bischof braucht theologische Kompetenz.
Aber wenn die Gruppe der Priester sehr viel geringer wird, ist auch die Auswahl derjenigen, die aus eben dieser Gruppe wegen ihrer Kompetenzen ausgewählt werden könnten, ebenso erheblich geringer. Und dann könnte die Besetzung eines Bischofsstuhls schlicht und ergreifend ein Personalproblem werden. Es sei denn, wir verändern die Strukturen innerhalb der Bistümer. Dann gibt es ja vielleicht neue Möglichkeiten.
DOMRADIO.DE: Wie könnte eine so veränderte Struktur Ihrer Meinung nach aussehen?
Muschiol: Ich bin Historikerin und schaue natürlich immer in die Geschichte und frage mich: Welche historischen Modelle zeigen uns Optionen für heute auf? Im Mittelalter gibt es die mittlere Ebene der Archidiakone, die werden vicarius episcopi in omnibus genannt, also "Vertreter des Bischofs in allen Angelegenheiten". Das ist eine mittlere Ebene, die je nach Bistum stärker oder weniger stark ausgeprägt war.
Für einen etwaigen zukünftigen Fall, dass Bistümer fusioniert und damit größer würden, müsste man eine solche mittlere Ebene stärken. Das Interessante an dieser mittleren Ebene ist, dass es in bestimmten Bistümern auch Archidiakoninnen gab. Äbtissinnen haben diese Aufgabe der Stellvertretung des Bischofs übernehmen. Damit wäre ja vielleicht noch mal eine ganz neue Vision für eine mittlere Ebene zu denken, mit ganz andere "Amts"-Strukturen möglich sind. Für bestimmte Regionen im Verlauf des Mittelalters gibt es diese Strukturen. Man kann die sicher nicht eins zu eins in die Gegenwart übertragen.
Aber man kann sich Strukturen der Geschichte anschauen und fragen: Wie können wir die für die Gegenwart nutzbar machen? Diese Stärkung der mittleren Ebene wäre in jedem Fall eine Option, wenn es zu Bistumsfusionen kommen sollte.
DOMRADIO.DE: Sind die Archidiakone in jedem Fall geweihte Personen? Sie haben schon Äbtissinnen angesprochen, die ja technisch gesehen nicht die gleiche Weihe haben wie Männer.
Muschiol: Äbtissinnen sind geweihte Personen. Da muss man dann historisch noch mal auf das Thema Weihe im Mittelalter schauen. Die Frauen damals haben zumindest die jurisdiktionelle Gewalt, das bedeutet, sie setzen Pfarrer ein, sie übertragen Seelsorgsaufgaben, die verantworten die geistliche Gerichtsbarkeit. Sie werden "Auge des Bischofs" genannt. Das ist schon eine ziemlich weitreichende Funktion, die männliche wie weibliche Archidiakone im Mittelalter haben.
DOMRADIO.DE: Das heißt, da kann der Blick in die Geschichte uns wirklich noch einiges lehren für die Zukunft. Dennoch entstehen und vergehen ja Bistümer in der Regel nicht so schnell. Für wie realistisch halten Sie die Verringerung von Bistümern in Deutschland in den nächsten Jahren?
Muschiol: Wir befinden uns mitten in einer Phase der Erosion der katholischen Kirche in Deutschland. Das ist einfach ein Faktum. Und für mich stellt sich tatsächlich auch die Frage nach dem Leitungspersonal. Wenn niemand mehr da ist, der Leitung verantwortlich übernehmen kann und auch verantwortlich und gut ausführen kann, wird sich die Frage nach der Struktur ganz schnell stellen. Aber ich bin Historikerin, und Historiker verstehen sich nicht als Propheten.
Das Interview führte Mathias Peter.