Noch heute schmerzt ihr Rücken von dem schweren Korb, den sie über Jahre auf ihrem Kinderkopf trug. "Ich atmete auch die Pestizide ein, die sie überall versprühten", sagt Molly Namirembe. Die Uganderin schuftete als Kind auf einer Teeplantage, nachdem sie mit elf Jahren ihre Mutter verloren hatte und der Vater schon seit Jahren tot war. Heute kämpft Namirembe als Sozialarbeiterin gegen den Einsatz von Kinderarbeitern in ihrer ostafrikanischen Heimat. Das ist keine leichte Aufgabe. Denn die Corona-Pandemie hat die Praxis ausgerechnet im "Internationalen Jahr gegen Kinderarbeit 2021" erneut aufleben lassen.
Auswirkungen der Corona-Pandemie
Am 12. Juni feiert die UNO den Welttag gegen Kinderarbeit. Wobei es im Covid-Jahr kaum etwas zu feiern geben dürfte, sagt Cynthia Samuel-Olonjuwon. Sie ist Afrika-Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Als solche weiß die UN-Diplomatin: "Die Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit, Kinderarbeit in Angriff zu nehmen, nur verstärkt. Schulen haben geschlossen, Arbeitslosigkeit ist im Wachsen begriffen und auch die Erwerbsarmut nahm zu, was dazu führte, dass viele Eltern wegen mangelnder Alternativen ihre Kinder statt zur Schule zur Arbeit schickten." Die Tatsache, dass dies Millionen weltweit betreffe, habe eine "beispiellose Krise" heraufbeschworen, so Samuel-Olonjuwon.
Besonders hart trifft das Problem Afrika. Schon vor der Pandemie schufteten auf dem Kontinent so viele Kinder auf Feldern und in Steinbrüchen wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die ILO schätzt, dass in Afrika mehr als 70 Millionen Kinder in irgendeine Form von Arbeit involviert sind - etwa die Hälfte aller arbeitenden Kinder weltweit. Die meisten von ihnen verdienen ihren Hungerlohn in der Landwirtschaft. "Tatsächlich konnten wir bisher keinen Durchbruch gegen Kinderarbeit in Afrika beobachten", sagt Samuel-Olonjuwon - und das zu einer Zeit, in der Kinderarbeit weltweit rückläufig ist. "Eine einfache Erklärung für diesen abweichenden regionalen Trend gibt es nicht."
Viele Faktoren führen zu Kinderarbeit
Armut, eine blühende informelle Wirtschaft, ein fehlendes Sozialnetz, Bevölkerungswachstum, mangelnde Bildung machen Afrika anfällig für diese Praxis. Und nicht zuletzt: bewaffnete Konflikte. "Egal, ob ein Konflikt Kinder an ihr Zuhause fesselt oder sie als Schutzsuchende unterwegs sind, sie sind in jedem Fall anfälliger für Kinderarbeit", sagt die nigerianische UN-Expertin. Genauer gesagt: Die Tatsache, dass ein Junge oder Mädchen in einem Kriegsgebiet lebt, erhöht die Chance, in Kinderarbeit zu landen, um 77 Prozent, verglichen mit dem Weltdurchschnitt.
Afrika hat etliche Meilensteine gegen ausbeuterische Arbeit erzielt - bislang größtenteils aber nur auf dem Papier. "In den letzten zwei Jahrzehnten schufen afrikanische Staaten die nötigen Gesetze und institutionellen Rahmenbedingungen. Alle von ihnen ratifizierten etwa die Konvention zur Eliminierung der schlimmsten Arten von Kinderarbeit", so Samuel-Olonjuwon. Der politische Wille zur Umsetzung der progressiven Gesetze fehle aber vielerorts. "Was wir jetzt brauchen, ist Durchsetzung", betont die Expertin.
Regierungen in der Verantwortung
In der Verantwortung sind Afrikas Regierungen. "Andere Regionen zeugen davon, dass ein ausgedehnter Sozialschutz Armut und wirtschaftliche Unsicherheit, die Kinderarbeit zugrunde liegen, abschwächen kann. Unterdessen hat eine kostenlose, hochwertige Schulbildung das Potenzial, Türen für eine bessere Zukunft zu öffnen." Laut Samuel-Olonjuwon sei Armut keine Ausrede für Afrikas Politiker: "Diese Investitionen schaffen eine bessere Zukunft für alle. Indem wir Kinderarbeit beenden, schaffen wir gesündere, gebildetere und produktivere Arbeitskräfte, die zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum und Entwicklung beitragen."
Dazu seien auch Konsumenten und Regierungen in Europa und dem übrigen Westen gefragt. Die Resultate afrikanischer Kinderarbeit kämen nämlich nicht selten über die Wertschöpfungskette: Der Kakao in der Tasse, der Tabak in der Zigarette, der Goldring am Finger. Samuel-Olonjuwon lobt, dass bereits etliche EU-Staaten Kinderarbeit aus der Lieferkette über Gesetze verbannt hätten. Doch um die Praxis endgültig zu beenden, brauche es noch mehr Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa.