KNA: Es kommt nicht oft vor, dass sich ein Ordensmann als Tatort-Fan outet. Was macht für Sie den Reiz der Serie aus?
Pater Maurus: Die Serie erscheint ja seit mehr als 40 Jahren und spiegelt das breite Spektrum an bundesdeutscher Geschichte wider. Und da die Folgen aus verschiedenen Städten kommen, sehen wir viel von den regionalen Wirklichkeiten und Eigenheiten Deutschlands.
KNA: Beim 999. Tatort ging es um eine Jugendliche, die in die Fänge des radikalen Islam gerät. Wie fanden Sie diese Folge?
Pater Maurus: Ich muss gestehen, dass ich diese Folge ziemlich überfrachtet fand mit allen möglichen Themen. Es ging um Islamismus, das aber leider auch ein bisschen klischeehaft.
KNA: Wie gut gelingt es denn dieser Serie, aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen?
Pater Maurus: Das ist von Folge zu Folge ganz unterschiedlich. Nach der 999. habe ich mich gefragt, ob sich hier nicht Anhänger von AfD oder rechten Gruppen bestätigt fühlen können. Die Macher hätten auch mal einen ganz normalen Muslim auftreten lassen können. Grundsätzlich finde ich es aber gut, wenn im Tatort gesellschaftliche Entwicklungen aufgezeigt werden. Am Sonntag davor etwa waren Digitalisierung und künstliche Intelligenz Thema. Diese Computerfigur, die gleichsam den Mord begangen hat, war zwar nicht weit entfernt von Science Fiction - aber hat bei mir doch zu Nachdenklichkeit über unser so technisiertes Zeitalter geführt.
KNA: Im Tatort dreht sich viel um Versagen, Schuld, Gerechtigkeit. Wie nah ist die Serie an Ethik und Religion?
Pater Maurus: Sehr nahe. Von Religion ist ja ausdrücklich nur in wenigen Folgen und sonst kaum die Rede. Aber ich finde es interessant, wie die Serie die übergreifenden Themen des Menschseins aufgreift: Verletzungen, Wunden, Gut und Böse, Gerechtigkeit, Beziehungen, Freundschaft oder Liebe. Es fließt also all das ein, was Menschen und ihre Sehnsucht bewegt und wozu auch der christliche Glaube was zu sagen hat. Und wovon nicht zuletzt auch die Bibel handelt.
KNA: Kann sich die Kirche von der Krimiserie inspirieren lassen?
Pater Maurus: Die "Tatort"-Reihe kann die Kirche daran erinnern, dass sie mit der Bibel selbst über einen Schatz spannender Lebensgeschichten verfügt. Die Bibel ist ja auch ein Buch, in dem das ganze Menschsein vorkommt. Die Psalmen etwa, die wir Mönche Tag für Tag beten, halten ein ganzes Spektrum von menschlichen Emotionen vor.
Oder nehmen Sie die Gleichnisse Jesu. Und wenn die Kirche eine für die Menschen verständliche Sprache sucht, dann kann sie sich ein Beispiel nehmen am "storytelling" des Tatorts, der sich ja sehr nahe an der Lebensrealität der Menschen bewegt.
KNA: Wie gut oder schlecht kommt denn die Kirche im Tatort weg?
Pater Maurus: Die Kirche kommt ja eher selten vor - und wenn, dann eher sehr klischeehaft. Vor ein paar Jahren ging es in einem Frankfurt-Tatort um einen Priester, der über die Beichte Zeuge eines Mordfalls wurde. Da stand einmal die Frage des Beichtgeheimnisses und letztlich die von göttlicher Gerechtigkeit im Raum. Solche Folgen können durchaus tiefergehende Überlegungen anstoßen. Ich finde es auch immer sehr interessant, wenn sich Kommissare über ihren Glauben oder Unglauben äußern. Vom Gläubigen bis zum Atheisten, vom Glaubenszweifler bis zum Kirchengegner ist ja alles in der Serie vertreten.
KNA: Neben der eigentlichen Krimihandlung spielen auch die Beziehungsdramen der Ermittler eine nicht unbedeutende Rolle. Würden Sie als Seelsorger nicht hin und wieder mal gerne eingreifen?
Pater Maurus: Das mit dem Eingreifen ist immer so eine Sache. Denn Hilfe setzt voraus, dass sie von den Betroffenen gewünscht wird. Vielleicht wäre es lohnend, sich die Lebensgeschichte des einen oder anderen mal anzuschauen. Eine der schillerndsten und interessantesten Tatort-Figuren ist für mich Kommissar Faber aus Dortmund. Der hat einen so schwierigen und eigenwilligen Charakter und geht oft ganz unkonventionelle Wege. Er hat ja mit ganz vielen Wunden und Verletzungen zu kämpfen. Das sind Geschichten, die mir auch aus meiner eigenen Seelsorgeerfahrung nicht unbekannt sind.
KNA: Haben Sie einen Tipp für ein Drehbuch, in dem ein Kloster zum Tatort wird?
Pater Maurus: Das ist schwer. Jedenfalls sollte das Kloster nicht als exotischer Ort dahergekommen, in dem nur Leute von einem anderen Stern leben.
KNA: Wenn Sie mal einen Ermittler spielen könnten, wie würden Sie die Rolle ausfüllen?
Pater Maurus: Sicher nicht wie Schimanski, der mit der Tür ins Haus fällt. Ein guter Ermittler sollte viel von einem Seelsorger haben: Er muss zum Beispiel mit Menschen in Trauer sensibel umgehen können. Und beide brauchen diese feinfühlige Hebammenfunktion - der Seelsorger, um die Lebenswahrheit aus einem Menschen herauszubringen, und der Kommissar, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Da sind Qualitäten wie zuhören können und mitfühlend sein gefragt. Das schaffen im Übrigen die Ermittlerinnen oft viel besser als ihre männlichen Kollegen. Auch Seelsorgerinnen - etwa im Krankenhaus - haben vielfach von ihrer Art her einen besseren Zugang zu Menschen als ihre männlichen Kollegen.
KNA: Haben Sie einen Lieblings-Tatort?
Pater Maurus: In der Tat ist es der Dortmunder Tatort, wobei die letzten schon sehr in die Lebensgeschichten der Ermittler hineingehen. Das ist zwar etwas anstrengend, aber diese Persönlichkeit von Faber entwickelt sich von Folge zu Folge weiter. Sehr spannend.
Das Interview führte Andreas Otto.