Bericht zur Religionsfreiheit meidet absichtlich Zahlen

"Zahlenfetischismus macht mich immer sehr stutzig"

Die Evangelische und katholische Kirche haben ihren dritten ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit vorgelegt. Warum diese Freiheit auch für Nichtreligiöse gilt und warum keine Zahlen genannt werden, erklärt einer der Mitautoren.

Kreuz auf einer Kirchturmspitze / © Chaz Muth (KNA)
Kreuz auf einer Kirchturmspitze / © Chaz Muth ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie verzichten in Ihrem Bericht ganz explizit auf Zahlen und auch auf Ranglisten. Welche Schwerpunkte haben Sie denn dann gewählt?

Prof. Heiner Bielefeldt (Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik in Erlangen, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit und Mitautor des dritten ökumenischen Berichts zur Religionsfreiheit): Das mit den Zahlen ist in der Tat schwierig, weil die Religionsfreiheit ein ungemein komplexes Menschenrecht ist. Da geht es ja um Fragen, wie man in der Schule damit umgeht, wie das Strafrecht gestaltet ist, das gesellschaftliche Klima. Das lässt sich schwer in Zahlen ausbuchstabieren.

Es geht um eine christliche Perspektive, zweifellos, aber eine christliche Perspektive auf ein universales Menschenrecht. Die menschenrechtliche Strukturierung der Religionsfreiheit steht im Zentrum. Also ein Thema, das eigentlich alle Menschen angeht. Hier sprechen Christen mit besonderem Blick auf Christen, aber es geht um alle Menschen.

Prof. Dr. Heiner Bielefeldt / © Wolfgang Radtke (KNA)
Prof. Dr. Heiner Bielefeldt / © Wolfgang Radtke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Unter anderem hat sich die Lage der Religionsfreiheit beispielsweise in Russland oder in China verschlechtert. Was hat Sie denn überrascht bei den Ergebnissen?

Bielefeldt: Da gibt es immer wieder Überraschungen, weil wir zum Teil auf manche Menschen gar nicht wirklich schauen, etwa auf Migrantinnen in den Golfstaaten. Nehmen wir so einen Staat wie Katar

Katar ist ein islamischer Staat, aber da gibt es möglicherweise dreimal so viel Hindus wie Muslime im Staat. Nur haben die kaum Rechte. Das sind oft die unsichtbaren Minderheiten. Frauen, die irgendwo in Haushalten tätig sind, sind schlecht bezahlt.

Dass da aber auch Themen der Religionsfreiheit mit involviert sind, und zwar en masse – da geht es wirklich um Millionen von Menschen – spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Das haben wir ein bisschen herausgekitzelt.

DOMRADIO.DE: Sie sagen außerdem, dass zur Religionsfreiheit nicht nur das Recht der Frommen gehört, sondern auch das Recht der Zweifelnden, ja sogar der Religionslosen. Warum haben denn Atheisten und Agnostiker auch ein Recht auf Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Man muss den Titel dieses Menschenrechts ab und zu mal in voller Länge formulieren. Der ist dann ein bisschen schwerfällig: Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

Im Zentrum steht der Begriff der Freiheit. Natürlich geht es sehr stark um Religion, aber eben nicht darum, dass irgendwie traditionelle religiöse Werte in die Menschenrechtsdebatte hinein verlängert werden. Vielmehr sollen sich die Menschen in Freiheit beschäftigen, die sollen in Freiheit glauben können. Aber nur der kann in Freiheit glauben, der auch Skepsis ausdrückt oder sich kritischen Fragen stellt.

Dieser freiheitsrechtliche Anspruch für den Umgang mit Religionsfragen bringt es mit sich, dass eben auch die religionskritisch gestalteten wie religionsdistanzierten Menschen, Agnostiker und Atheisten, einen Anspruch auf dieses Recht haben. Und das liegt eben auch in der Struktur: Es geht um ein Menschenrecht, um ein universales Recht.

DOMRADIO.DE: Ganz interessant ist auch, dass selbst in einem Land wie Deutschland Religionsfreiheit nicht unbedingt selbstverständlich ist. Warum das?

Heiner Bielefeldt

"Wir wollen das nicht vergleichen mit den Dramen, die anderswo in der Welt stattfinden."

Bielefeldt: In keinem Staat der Welt ist sie wahrscheinlich ganz selbstverständlich. Die Anfragen, die Schwierigkeiten kommen in ganz unterschiedlicher Weise. Ich würde mal sagen, ein ganz großes Thema der Religionsfreiheit in Deutschland ist etwa der grassierende Antisemitismus.

Aber eine ganz andere Baustelle ist, dass die Kooperationsstrukturen zwischen Staat und Kirche dem mittlerweile entstandenen Pluralismus nicht ganz gerecht werden. Gut die Hälfte der Bevölkerung gehört ja keiner Konfession mehr an. Wir haben durch Migration auch die Religionslandschaft sehr verändert.

Es gibt zum Teil auch eine Aggressivität gegen Religion überhaupt. Auch das ist ein Thema. Man hat das vor zehn Jahren bei der Beschneidungsdebatte in Deutschland erlebt. Das ist eine Weile her, aber da kam ein zum Teil sehr aggressiver Säkularismus zu Wort, der mich erschreckt hat.

Wir müssen deshalb an ganz vielen Baustellen auch in Deutschland daran arbeiten, obwohl es in Deutschland vergleichsweise gut aussieht. Wir wollen das nicht mit den Dramen vergleichen, die anderswo in der Welt stattfinden.

Heiner Bielefeldt

"Nicht der Begriff ist das Problem, sondern die damit verbundenen Zahlen und Rankings, die eben doch manchmal auch etwas fragwürdig sind."

DOMRADIO.DE: Dieses große Thema Religionsfreiheit oder konkreter auch die Christenverfolgung muss man mit Vorsicht anschauen. Wieso denn?

Bielefeldt: Über Christenverfolgung muss man reden. Damit kein Missverständnis entsteht: Da, wo Christen verfolgt werden, soll man über Christenverfolgung reden. Genauso wie man über Antisemitismus reden muss, über Islamophobie und andere Formen des unangemessenen Umgangs mit religiöser Vielfalt. Nicht der Begriff ist das Problem, sondern die damit verbundenen Zahlen und Rankings, die doch manchmal etwas fragwürdig sind.

Niemand kann seriöserweise sagen, wie viele Christen denn bedrängt werden, verfolgt werden. Nehmen wir das Beispiel Vandalismus auf Friedhöfen. Wie viele sind davon betroffen? Wenn ein Friedhof zerstört wird, sind es nur die Familien, deren Gräber da geschändet sind? Ist es die lokale Community? Ist die nationale Community, ist die internationale Community? Wie will man das in Zahlen ausdrücken?

Dieser Zahlenfetischismus macht mich persönlich immer sehr stutzig. Aber der Begriff Christenverfolgung, wo er angemessen ist, muss dann auch genannt werden.

Das Interview führte Verena Tröster.

Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit gehört zu den grundlegenden Menschenrechten. In Deutschland heißt es in Artikel 4 des Grundgesetzes: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Die ungestörte Religionsausübung - gleich welcher Konfession - soll ebenfalls gewährleistet sein.

Religionsfreiheit weltweit eingeschränkt / © N.N. (Open Doors)
Religionsfreiheit weltweit eingeschränkt / © N.N. ( Open Doors )
Quelle:
DR