Berliner Antisemitismusbeauftragter spricht über Gesamtlage

"Das große Risiko ist der Alltag"

Seit Oktober sind die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen erhöht worden. Doch staatlicher Schutz hat Grenzen, sagt Berlins Antisemitismusbeauftragter Samuel Salzborn. Er sieht ein Problem bei antisemitischen Netzwerken.

Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin 
 / © Monika Skolimowska (dpa)
Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin / © Monika Skolimowska ( dpa )

Berlins Antisemitismusbeauftragter Samuel Salzborn sieht Grenzen beim Schutz jüdischer Einrichtungen in der Hauptstadt. "Das Land macht seit dem 7. Oktober bei den Sicherheitsmaßnahmen vor Synagogen und vor jüdischen Einrichtungen sehr, sehr viel. Aber das große Risiko ist der Alltag: Situationen und Orte, in denen man eben keinen vollumfänglichen Schutz herstellen kann, so bitter das ist", sagte Salzborn der "taz" (Mittwoch).

Erfassung antisemitischer Straftaten in Berlin

Salzborn betonte: "Im Unterschied zu anderen Bundesländern haben wir in Berlin konkrete Maßnahmen festgelegt und ein ganz großer Teil ist auch umgesetzt." 

Man habe sich in vielen Bereichen professionalisiert: "Polizei und Generalstaatsanwaltschaft haben jetzt Antisemitismusbeauftragte. Und wir haben einen Leitfaden zur Erfassung antisemitischer Straftaten entwickelt. Der gibt den Kolleginnen und Kollegen auf den Polizeiabschnitten konkrete Hinweise und Handlungsanweisungen."

Körperliche Angriffe mit antisemitischen Motiven würden von der Polizei nicht mehr nur als reine Körperverletzung aufgenommen. Denn antisemitische Motive wirkten strafverschärfend. 

Antisemitische Organisationsstrukturen seien maßgebliche Treiber

Salzborn wies zudem auf das Problem von Netzwerken hin: "An einer antisemitischen Versammlung nehmen nicht spontan und aus dem Nichts mehrere tausend Menschen teil. Das sind organisatorische Strukturen, die das koordinieren, dazu aufrufen, Parolen vorgeben."

Antisemitische Organisationsstrukturen wie etwa der deutsche Ableger des propalästinensischen "Samidoun" seien maßgebliche Treiber der antisemitischen Proteste in Berlin gewesen. 

"Wir haben sicher auch Menschen, die aus eigener Betroffenheit teilnehmen", sagte Salzborn: "Aber der Punkt ist: Wer gibt bei so einer Versammlung den Ton an?"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte im vergangenen November die Aktivitäten des Netzwerks Samidoun in Deutschland verboten.  Salzborn sagte: "Wenn die Bundesinnenministerin das Verbot früher ausgesprochen hätte, wären die Eskalationen hier nicht so heftig ausgefallen."

Importierten Antisemitismus sei derzeit die größte Gefahr 

Salzborn sieht im sogenannten importierten Antisemitismus derzeit die größte Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland. Judenhass sei ein breites gesellschaftliches Problem. Dennoch sei der Fokus auf den "importierten" Antisemitismus in der aktuellen Situation grundsätzlich richtig.

"Wir haben im Moment eine extreme Situation der antisemitischen Eskalation und sehen, dass Gruppen aus einem islamistischen Kontext, auch aus einem arabischen Kontext, das massiv anheizen", sagte Salzborn. Dazu kämen antiimperialistische Gruppen: "Insofern haben wir das Problem dort ganz konkret."

Jede muslimische Stimme gegen Antisemitismus ist wichtig

Es gebe Gedenkveranstaltungen ohne antisemitische Parolen. Wenn Teilnehmende sich aber hinter antisemitischen Transparenten versammeln, trügen sie dafür auch Verantwortung. Es läge an ihnen, klar zu widersprechen oder die Versammlung zu verlassen: "Das nehme ich bisher kaum wahr."

Es sei klar, dass nicht alle Musliminnen und Muslime antisemitische Positionen vertreten. Aber auch in dem Milieu sei entscheidend, was die repräsentierenden Personen sagen: "Da ist jede einzelne muslimische Stimme, die sich eindeutig und klar gegen Antisemitismus und gegen die Hamas positioniert, extrem wichtig."

Hintergrund zu "Samidoun"

Das internationale palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk  "Samidoun – Palestinian Prisoner Solidarity Network" (kurz: „Samidoun“) wurde im Jahr 2011 von im Ausland ansässigen Mitgliedern der Terrororganisation "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) gegründet. Anlass waren Hungerstreiks von in Israel inhaftierten PFLP-Angehörigen, mit denen sie ihre Haftbedingungen verbessern wollten. 

Pro-Palästinensische Demonstration in Duisburg / © Christoph Reichwein (dpa)
Pro-Palästinensische Demonstration in Duisburg / © Christoph Reichwein ( dpa )
Quelle:
epd , KNA