Berliner Generalvikar für Entschädigung aus Kirchensteuer

"Es gibt nur das eine Geld der Kirche"

Berlin war 2010 das Epizentrum des katholischen Missbrauchskandals. Der Generalvikar des Erzbistums Berlin plädiert für eine gerechte Lösung bei der Entschädigung der Opfer, sieht aber keinen anderen Weg als dafür Kirchensteuern zu verwenden. 

Staatsleistungen in der Debatte (KNA)
Staatsleistungen in der Debatte / ( KNA )

KNA: Herr Generalvikar, vor zehn Jahren begann mit den Enthüllungen am Berliner Canisius-Kolleg der Missbrauchskandal in der katholischen Kirche in Deutschland. Sie waren damals in Münster. Wie war Ihre erste Reaktion?

Pater Manfred Kollig (Generalvikar des Erzbistums Berlin): Wir haben uns im Bistum Münster sofort gefragt: Was bedeutet das für uns? Haben wir auch solche Fälle, etwa an Schulen? Meine persönliche Reaktion war: Da müssen wir genauer hinsehen! Und wir müssen schauen, wie wir es in Zukunft verhindern können. Es hat mich nicht überrascht, dass es solche Fälle gibt. Das wusste ich ja, auch aus meiner Ordensgemeinschaft, aber das Ausmaß überraschte mich.

KNA: In der Debatte um Entschädigungen gibt es den Vorschlag, jedem Opfer pauschal 300.000 Euro zu zahlen. Was halten Sie davon?

Kollig: Wir müssen alles tun, damit die Wunden der Opfer heilen können - wissend, dass immer Narben bleiben werden. Ob das mit finanziellen Leistungen geht, muss man sehen. Aber wenn wir uns als Kirche für diesen Weg entscheiden, dann sollten wir kein spezielles katholisches System schaffen. Wir sollten uns beraten, mit anderen betroffenen Institutionen und auch mit der Bundesregierung. Ich kann mir keinen katholischen Alleingang bei den Entschädigungen vorstellen.

KNA: Einige Bistümer haben weitgehende Lösungen angekündigt. Das Erzbistum Freiburg wird eine lebenslange Opfer-Rente zahlen. Wäre das auch für ostdeutsche Bistümer ein gangbarer Weg?

Kollig: Als Generalvikar muss ich immer das Gesamte des Bistums im Blick haben: den kirchlichen Auftrag, die personellen und finanziellen Möglichkeiten, die Kultur und das Erscheinungsbild. Wenn ich entscheiden will, wie und wieviel wir als Bistum zahlen, muss ich beispielsweise auch fragen: Gefährdet das unseren Auftrag? Ein Beispiel: Unser Erzbistum hat 25 Schulen, insgesamt gibt es 75 katholische Kitas, für diesen Beitrag zur Gesellschaft leisten wir erhebliche Zuschüsse. Wenn wir jedes Opfer mit 300.000 Euro entschädigen, müssten wir einen Teil solcher Aktivitäten einstellen. Darüber muss man sich im Klaren sein.

KNA: Könnte man nicht andere Sondervermögen angreifen, etwa die Pensionsrückstellungen?

Kollig: Die Rückstellungen für unsere Priester und leitenden Lehrkräfte sind solide und entsprechen den gesetzlichen Vorgaben. Wenn ich sie auflösen würde und das Erzbistum Berlin seinen Pensionsverpflichtungen nicht mehr nachkommen könnte, müsste eventuell sogar der Staat einspringen. Dann würden indirekt alle Steuerzahler für die Opfer-Entschädigungen mit aufkommen. Daher ist es mir besonders wichtig, dass wir die Schuldigen auch finanziell mit in die Pflicht nehmen. Und wo wir als Institution Erzbistum versagt haben, muss diese Institution auch für die Schäden eintreten.

KNA: ...Was dann zwangsläufig einen Rückgriff auf Kirchensteuereinnahmen zur Folge hätte....

Kollig: Wir in Berlin hätten keine andere Möglichkeit, denn fast all unsere Einnahmen kommen aus der Kirchensteuer. Staatliche zweckgebundene Zuschüsse - beispielsweise zur Refinanzierung unserer Schulen - können wir jedenfalls nicht dafür verwenden.

KNA: Manche Kirchenmitglieder finden es unerträglich, dass mit ihren Beiträgen die Verbrechen von Priestern entschädigt werden sollen.

Kollig: Das verstehe ich, denn eigentlich ist die Kirchensteuer nicht als eine Art Haftpflicht für die Priester da. Aber andererseits sagt mir mein Realitätssinn: Wo soll denn das Geld herkommen? Selbst wenn ich auf andere Töpfe zurückgreife, ist das ja auch Geld, das dem Volk Gottes gehört. Das gilt auch für den sogenannten Bischöflichen Stuhl. Es gibt nur das eine Geld der Kirche.

Im Erzbistum Berlin entscheidet über das gesamte Geld der Diözesanvermögensverwaltungsrat, ein ehrenamtliches Gremium, in dem weder der Generalvikar noch der Erzbischof Stimmrecht haben. Und wenn wir als Kirche die Opfer entschädigen sollen, dann tut es auch der Kirche als Ganzes weh, das ist nun mal das Solidarprinzip. Ich sehe leider keinen anderen Weg.

KNA: In Österreich wurde für die Entschädigung ein nationaler Fonds gebildet, an dem sich die Kirchen beteiligen. Wäre das auch für Deutschland ein Modell?

Kollig: Ich hielte das für einen gangbaren Weg, weil dann für alle Opfer eine Gesamtverantwortung entsteht. Es kann ja nicht sein, dass es bevorzugte und benachteiligte Opfer gibt. Die große Herausforderung ist, einen Weg einer gerechten Verteilung zu finden.

Und zur Gerechtigkeit gehört auch eine faire Abwägung zwischen den berechtigten Anliegen der Opfer und dem Auftrag der Institution. Ich respektiere die Forderungen der Opfer, aber ich muss das ganze Volk Gottes im Blick haben und dafür sorgen, dass die Kirche weiterhin ihren Auftrag erfüllen kann.

Von Ludwig Ring-Eifel 


Pater Manfred Kollig / © Julia Steinbrecht (KNA)
Pater Manfred Kollig / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA
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