Berliner Tafel fordert mehr politische Unterstützung

"Wir sind nicht die Ausputzer für die Politik"

Ukraine-Krieg und Inflation machen sich auch bei den Tafeln in Deutschland bemerkbar. Obwohl die Situation im Moment noch im Griff sei, sieht die Berliner Tafel mehr Handlungsbedarf auf politischer Ebene.

Das Sortiment an Lebensmittelspenden reicht im Moment nicht für die 120 Tafelkunden in Bensberg aus / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Sortiment an Lebensmittelspenden reicht im Moment nicht für die 120 Tafelkunden in Bensberg aus / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie ist denn die Lage aktuell bei Ihnen? Hat sich die Nachfrage in den letzten Monaten verändert?

Sabine Werth (Berliner Tafel): Die Nachfrage ist in Berlin gewaltig gewachsen. Wir haben zu Corona-Zeiten etwa 140.000 Menschen in der Stadt monatlich mit Lebensmitteln unterstützt. Heute sind es weit über 150.000. Alleine da merken wir es schon.

DOMRADIO.DE: Wie versuchen Sie denn, diesen Zuwachs zu händeln? Gibt es da Dinge, die Sie unternommen haben, um die Ausgaben zu erleichtern?

Werth: Wir haben natürlich ganz viel versucht zu verändern. In Berlin ist die Sondersituation: Wir haben die Aktion "Leib und Seele", eine Aktion der Berliner Tafel, der Kirchen und des RBB. Das heißt, wir haben 47 Ausgabestellen in Kirchengemeinden, wo sich die Bevölkerung, die nachweisen muss, dass sie unter einem bestimmten Satz im Monat Geld zur Verfügung hat, Lebensmittel einmal in der Woche abholen kann.

Da ist natürlich zum einen die Zahl gestiegen durch Menschen, die zu uns kommen und sagen: Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal zur Tafel gehen muss, aber ich kann nicht mehr durch Corona. Durch meinen Arbeitsverlust sind meine Ersparnisse aufgebraucht und ich muss jetzt einfach kommen. Und wir haben natürlich viele Ukraine-Flüchtlinge.

DOMRADIO.DE: Kommen denn jetzt auch weniger Lebensmittel bei Ihnen an?

Nathalie Hock

"Ganz viele Firmen haben ihre Überschüsse direkt in die Ukraine gefahren, sodass die gar nicht erst bei uns gelandet sind."

Werth: Wir haben Anfang des Jahres sehr viel weniger Lebensmittel zur Verfügung gehabt. Da waren die Zahlen aber auch zum Glück noch nicht ganz so schlimm. Dann stiegen die Zahlen und die Lebensmittel stiegen aber leider nicht. Dann haben wir Alarm geschrien. Und das Schöne ist, wenn Tafeln Alarm rufen, dann wird meistens auch etwas erhört. Dann sind zusätzliche Spenden gekommen.

Übrigens zu den 47 Ausgabestellen haben wir noch acht oder neun Pop-up-Stellen. Das sind Kirchengemeinden, die sonst nicht bei der Aktion dabei sind, die aber jetzt in dieser Notsituation Lebensmittel ausgeben.

Wir haben aber auch gehört, dass ganz viele Firmen ihre Überschüsse direkt in die Ukraine gefahren haben, sodass die gar nicht erst bei uns gelandet sind. Das macht sich natürlich bemerkbar.

DOMRADIO.DE: Die Menschen, die zu ihnen kommen, bekommen ja auch teilweise Sozialleistungen. Sollten die nicht eigentlich ausreichen, um den Kühlschrank zu füllen? Macht die Politik da nicht was falsch?

Werth: Das bemängeln wir seit fast 30 Jahren. Natürlich macht die Politik da was falsch. Die Leistungen bei Hartz IV müssten eindeutig angehoben werden. Das fordern wir auch seit Jahren. Da muss die Politik nachsteuern. Wir sind nicht die Ausputzer für die Politik, sondern wir versuchen, auf die Notstände der Menschen aufmerksam zu machen mit unserer Aktion, in dem wir überbrückend helfen. Das ist das Wichtige.

DOMRADIO.DE: Wie könnte ich jetzt der Tafel in meiner Stadt helfen? Gibt es da was, was man generell tun kann, auch bei Ihnen in Berlin?

Werth: Also grundsätzlich hat jede Tafel eine Homepage, da steht meistens auch drauf, wie die Hilfe sein könnte. Oder ist zumindest die Telefonnummer dabei, sodass bei der jeweiligen Tafel am Ort angerufen werden kann, um nachzufragen, was da die Hilfe sein könnte. Manchmal sind es Lebensmittel, die die dringend brauchen. Manchmal ist es aber auch personelle Hilfe, dass einfach Ehrenamtliche gesucht werden.

In Berlin ist es so: Unsere ganzen Ausgabestellen stehen immer an den Tagen, an denen sie geöffnet haben, auch bereit, um zusätzliche Lebensmittel in Empfang zu nehmen. Die Berliner Tafel ist ständig zu erreichen. Wir holen nicht von Privatpersonen, aber im größeren Stil bei Geschäften oder Herstellern jederzeit ab. Die Privatpersonen wenden sich wirklich am besten gleich an die Ausgabestellen.

Das Interview führte Michelle Olion.

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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