Die Predigt ist kurz, die Musik kommt vom MP3-Player, und das "Gewand" ist in Tarnfarben. "Es ist ein katholischer Brauch, dass wir Kerzen entzünden, wenn etwas passiert oder wenn wir an jemanden denken", sagt Gert-Jan van Dierendonck. Die "Air" aus der 3. Orchestersuite von Bach erklingt dazu aus den Lautsprechern.
"Entscheiden Sie selbst, für wen oder was sie eine Kerze entzünden - ob für gefallene Kameraden oder gegen das eigene Heimweh", lädt er die Anwesenden ein. Es ist kein normaler Gottesdienst, den der 42-Jährige hier im litauischen Rukla, rund eine Autostunde nordwestlich von der Hauptstadt Vilnius entfernt, feiert. Van Dierendonck ist zwar katholischer Militärkaplan, aber er ist für Soldaten aller Konfessionen zuständig.
Für das Seelenheil der beteiligten Soldaten
An ihrer Ostflanke hat die NATO seit Jahresbeginn unter deutscher Leitung eine multinationale Kampfgruppe stationiert. Mit ihr will das Militärbündnis Russland zeigen, dass es Angriffe wie den auf die Krim oder die Ukraine bei seinen Verbündeten in keinem Fall dulden wird. Van Dierendonck soll sich dabei um das Seelenheil der beteiligten Soldaten kümmern. "Chaplaincy Dutch Armed Forces", zu Deutsch: Militärkaplan der holländischen Armee, steht auf seiner Tür im obersten Stockwerk einer einstmals sowjetischen Kaserne in der litauischen Kleinstadt.
Seine Stube ist – typisch für eine Kaserne – karg: ein Etagenbett, ein kleiner Schreibtisch, an der Wand ein selbstgezimmertes Kreuz aus Birkenholz. "Meine Tür ist immer offen, und die Soldaten wissen, dass sie immer reinkommen können und ich ihnen zuhöre", sagt der Holländer. Denn nicht nur der Sonntagsgottesdienst gehört zu den Aufgaben van Dierendonck. Er will in allen Anliegen für die Kameraden da sein.
"Wenn etwas passiert, kommen sie als erstes zu mir, zum Militärkaplan", beobachtet er. Etwa, wenn ein Kamerad bei einem Einsatz stirbt, wie vor wenigen Wochen ein Bundeswehrsoldat in Mali. Auch im fernen Litauen wurde dem Kameraden in einem Gottesdienst gedacht. "Wir sind in einer ähnlichen Situation, sehr weit weg von Zuhause", sagt er.
Schweigepflicht für den Kaplan
Für ihn als Militärkaplan gilt die Schweigepflicht. Und anders als ein Militärarzt führt er keine Akten über die Soldaten. Die Gespräche drehen sich weniger um Glaubensfragen als um private Themen wie Heimweh oder Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten. Van Dierendonck interveniert dann auch mal bei den Kommandeuren. Deshalb hat er den Rang eines Majors, obwohl er als Militärkaplan eigentlich abseits der militärischen Hierarchie steht. "Wenn ich mit einem Oberstleutnant oder General sprechen muss, erleichtert das die Sache."
Ein Bataillon - rund 1.000 Soldaten, darunter 450 der Bundeswehr, zusätzliche aus den Benelux-Staaten und Norwegen - sind in Litauen, dem größten baltischen Staat, stationiert. Die Präsenz der NATO in Baltikum ist die Antwort auf das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der östlichen Bündnispartner angesichts des russischen Vorgehens in der Ukrainekrise. Damit die Präsenz im Baltikum kein Bruch der NATO-Russland-Grundakte ist, werden die Soldaten und die komplette Ausrüstung alle sechs Monate ausgetauscht. "Einsatzgleiche Verpflichtung", nennt es die Armeeführung, nicht "Einsatz".
"Einer von ihnen"
Trotzdem können die sechsmonatige Abwesenheit von Zuhause oder andere Situationen "zu persönlichen Belastungen führen", wie es Oberstleutnant Thorsten Gensler, der Befehlshaber der NATO-Battle-Group in Litauen, ausdrückt. Er sieht hier eine wichtige Aufgabe eines Militärkaplans. "Die Soldaten haben einen neutralen Ansprechpartner, den sie nutzen können, um in geeigneter Weise über das Problem sprechen zu können." Um für die Soldaten die Ansprechbarkeit zu erhöhen, nimmt van Dierendonck auch an den Gefechtsübungen in den Schützengräben teil.
Ohnehin gilt er bei den Soldaten als "einer von ihnen". Denn auch er hat eine Familie mit Frau und Kindern. "Meine Heimatfront ist stark - also meine Frau und meine drei Töchter. Sie sind auch mein Fundament, um hier stark zu bleiben", sagt der 42-Jährige. Auch er wird nach sechs Monaten wieder in seine Heimat zurückkehren.
"Als Kaplan in der Armee bin ich für jeden da"
Die Ordinierung eines studierten Laien-Theologen als Militärkaplan ist Hollands Antwort auf den Priestermangel im Land. Bei den Soldaten kommt das an. Die Gottesdienste sonntags sind gut besucht. Auch Oberfeldwebel Elisabeth nimmt regelmäßig daran teil. "Es ist eine Möglichkeit, runterzukommen und sich auf die wichtigen Dinge zu besinnen, die man hier oft vergisst." Dass die Andachten wie auch die Seelsorge in dem multinationalen Bataillon auf Englisch gehalten werden, ist dabei keine Hemmschwelle.
Auch sei es zweitrangig, dass er katholischer Seelsorger sei, beobachtet der Militärkaplan. Die Soldaten gehören ohnehin unterschiedlichen Konfessionen an, und das Bataillon wird im Laufe des Einsatzes noch um weitere Länder noch multinationaler und vielsprachiger. Van Dierendonck ist jeder willkommen, "als Kaplan in der Armee bin ich für jeden da".