Der Karsamstag ist der Tag der Grabesruhe Jesu. Er ist dadurch gekennzeichnet, den Tod des Gottessohnes aushalten zu müssen, während die Feier seiner Auferstehung noch aussteht. Nicht zuletzt deswegen fällt es vielen Gläubigen schwer, mit diesem Tag umzugehen. Ein Weg, den Karsamstag geistlich zu erschließen, kann der Besuch an einem Heiligen Grab sein. Im Erzbistum Köln befindet sich eine dieser Nachstellungen der Grablege Jesu an einem ganz besonderen Ort: dem Kreuzberg in Bonn.
Mit einer Höhe von 158 Metern erhebt sich der Kreuzberg mit seiner Wallfahrtskirche über der ehemaligen deutschen Hauptstadt. Der Aufstieg zu dem barocken Gotteshaus führt über einen kleinen Wallfahrtsweg mit Andachtsstationen mitten durch den alten Friedhof des Bonner Stadtteils Poppelsdorf.
Oben auf dem Kreuzberg angekommen, zeigt sich, warum dieser Hügel schon seit vielen Jahrhunderten von Menschen als besonderer Ort angesehen wird: Unten erstreckt sich die Kölner Bucht in ihrer großen Weite. Der Blick reicht – bei gutem Wetter – über Bonn hinaus bis zum knapp 30 Kilometer entfernten Kölner Dom.
Erinnerung an Leiden, Tod und Auferstehung Jesu
Auch Roberto González fasziniert dieses Panorama. Der aus Paraguay stammende Anwalt lebt seit drei Jahren auf dem Kreuzberg. González ist Mitglied der Schönstätter Marienbrüder und leitet das Sprach- und Kulturinstitut in dem ehemaligen Kloster auf dem Kreuzberg, das von der Schönstatt-Bewegung betrieben wird.
"Die Kreuzbergkirche ist ein geistliches Zentrum Bonns", sagt der Geschäftsführer. "Sie erinnert auf vielfältige Weise an Leiden, Tod und Auferstehung Jesu." Viele Pilger würden den Kreuzberg und seine Kirche besuchen, so González – besonders in der Karwoche.
Wer zu dem barocken Gotteshaus pilgert, wird nach dem Aufstieg auf den Kreuzberg direkt mit dem Schmuckstück des Gebäudekomplexes begrüßt: der Heiligen Stiege. Der Bau stammt aus dem Jahr 1751 und wurde vom damaligen Kölner Kurfürsten und Erzbischof Clemens August in Auftrag gegeben. Balthasar Neumann, einer der bedeutendsten Baumeister des 18. Jahrhunderts, errichtete die bemerkenswerte Andachtsstätte, die eine Nachbildung der "Scala Santa" in Rom beherbergt.
Im Rheinland die einzige ihrer Art
Die originale Heilige Stiege soll die Treppe des Palastes von Pontius Pilatus in Jerusalem gewesen sein, die 326 nach Rom gebracht wurde und dort noch heute besucht werden kann. Jesus musste vor seiner Verurteilung durch den römischen Statthalter die insgesamt 28 Stufen hinaufsteigen. Nachbauten der "Scala Santa" waren in den vergangenen Jahrhunderten als Pilgerorte besonders in Süddeutschland sehr beliebt. Im Rheinland ist die Heilige Stiege in Bonn die einzige ihrer Art.
An der Fassade des Kirchengebäudes befindet sich ein Balkon, auf dem die lebensgroßen Figuren des gegeißelten Jesus, von Pilatus und einem Soldaten zu sehen sind. Der Betrachter fühlt sich dadurch in das Geschehen der Passion Jesu hineinversetzt und wie ein Zuschauer, der vor dem Palast des römischen Statthalters steht. Genau das wollten der barocke Architekt und sein kurfürstlicher Auftraggeber erreichen. Daher ergibt es sich fast von selbst, dass die Pilger die Heilige Stiege betreten wollen.
Einen Blick auf die Stiege könnten Besucher jeden Tag durch die Gitter an der geöffneten Tür erhaschen, erklärt González. "Aber das Gebet auf der Heiligen Stiege ist nur an drei Tagen im Jahr möglich: an Karfreitag, an Karsamstag und am Fest Kreuzerhöhung am 14. September." Dann können die Pilger auf den Knien die 28 Stufen nach oben beten.
"Es gibt zudem viele Legenden um die Stiege"
Bei diesem beschwerlichen Gebet haben sie stets das Kreuz vor Augen, das am Ende der Stiege thront. Die Stiege sei eigentlich eine Betrachtung der Passion Christi, so González. "Je höher man hinaufsteigt, desto näher ist man der Kreuzigung." Im Kirchengebäude liegen Gebetszettel aus, die bei der Andacht helfen können.
"In jede Stufe sind zudem Reliquien regionaler Heiliger und an einigen Stellen der Stiege auch Teile des Kreuzes Christi eingelassen", sagt der Schönstatt-Marienbruder. "Es gibt zudem viele Legenden um die Stiege. So soll Napoleon 1804 versucht haben, mit seinem Pferd die Treppe hochzureiten."
Doch der Hochmut des französischen Feldherrn habe sich sogleich gerächt: "Sein Pferd soll auf der vierten Stufe gestürzt sein, wobei sich Napoleon das Bein gebrochen hat – das sagt jedenfalls die Legende", weiß González und schmunzelt ein wenig. Wer oben an der Stiege angekommen ist, wird mit einem Blick auf die Ausstattung des Gebäudes der Heiligen Stiege belohnt, die mit barocker Kunst das Leiden Jesu thematisiert.
Himmlische Hinweise auf die Auferstehung
Außerdem bietet sich vom damaligen Privatoratorium des Kölner Erzbischofs ein Blick in den Innenraum der Kreuzbergkirche – direkt auf den Hochaltar und die Figur der heiligen Helena mit dem von ihr aufgefundenen Kreuz.
Nach dem Gebet auf der Stiege folgt der Abstieg zur Nachbildung des Grabes Jesu, das sich in der Krypta unter der Treppe befindet. Ein Teil der Grabnische ist als Grotte gestaltet, an den Himmel sind Putten gemalt. Ein Engel trägt das Kreuz empor, ein anderer wälzt den Stein des Grabes beiseite – himmlische Hinweise auf die Auferstehung.
In der Grabhöhle liegt eine lebensgroße Figur des aufgebahrten Leichnams Jesu, die zum Gebet einlädt. Vielfarbige Kugellichter, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert an den zahlreichen plastischen Darstellungen des Heiligen Grabes üblich waren, säumen auch auf dem Kreuzberg die Trauerszenerie und tauchen sie in ein unwirkliches Licht.
Eine zweite Heimat
Nach einem Gebet am Grab Jesu lohnt sich ein Besuch in der eigentlichen Kirche auf dem Kreuzberg. Auch sie setzt sich durch ihre barocken Kunstwerke und Fresken mit der Passion auseinander. "Die Kreuzbergkirche ist sehr beliebt für Eheschließungen", sagt González. Das sei ein schönes Zeichen, findet der Marienbruder: "Leid und Tod haben in unserem Glauben nicht das letzte Wort, sondern Auferstehung und Neuanfang – und was könnte da ein schöneres Zeichen sein, als ein Paar, das sich das Ja-Wort gibt."
Für González ist der Kreuzberg mit seiner Erinnerung an die Passion Jesu längst zu einer zweiten Heimat geworden. Er und die anderen Mitglieder der Schönstatt-Bewegung wollen für die zahlreichen Pilger und alle Bonner da sein – an diesem Ort, der so nahe am Himmel liegt.