Was die Kirchen in Chemnitz zur Deeskalation beitragen können

"Beten, dass Gott diese Kräfte, die sich da entfesseln, im Zaum hält"

Es war ein Wochenende der Demonstrationen in Chemnitz – auch unter Beteiligung der Kirche. Die dortige evangelische Gemeinde hatte zu einer Friedenskundgebung aufgerufen. Aber welchen Beitrag kann die Kirche in der Lage wirklich leisten?

Kundgebung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chemnitz / © Monika Skolimowska (dpa)
Kundgebung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chemnitz / © Monika Skolimowska ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Atmosphäre in der Stadt übers Wochenende erlebt?

Katharina Weyandt (Journalistin in Chemnitz und Gemeindemitglied der dortigen evangelischen Kirche): Das war sehr unterschiedlich. Der Samstag war von zwei rechten Demonstrationen geprägt: "Pro Chemnitz" als auch die AfD wollten um den Innenstadt-Ring laufen – die kleine Innenstadt ist von sehr großen Straßen umringt. Es gab eine Gegendemonstration von Parteien, der LINKEN, den Grünen, der CDU und anderen Organisationen relativ breit aus der Stadt, die sich auf dem großen Parkplatz auf der anderen Seite versammelten.

DOMRADIO.DE: Auch die evangelische Kirche war groß vertreten. Rund 1.000 Menschen nahmen an der Kundgebung unter dem Motto "Wir in Chemnitz – aufeinander hören, miteinander handeln" teil. Sie haben auf der Bühne gesprochen. Wie haben die Menschen in Chemnitz reagiert?

Weyandt: Nachdem der Samstag mit gesperrter Innenstadt, viel Polizei und einigen Auseinandersetzungen ziemlich heftig war – vor allem die Rechten haben Leute angegriffen – war der Sonntag wie Balsam. Es gab schöne und freundliche Reden. Die Polizei war an vielen Stellen der Stadt präsent, aber es war alles friedlich, wie es sonst zu anderen Zeiten auch ist. Zum Beispiel wenn wir den Chemnitzer Friedenstag, den Bombardierungstag, begehen.

DOMRADIO.DE: Was kann denn die Kirche über den Balsam hinaus in dieser Diskussion beitragen?

Weyandt: Das ist die Frage. Viele Menschen in Chemnitz, oder überhaupt in Sachsen, haben gar keinen "Trost-Zugang". Sie haben so große Veränderungen in ihrem Leben erlebt, aber durch ihren Atheismus keinen Zugang zu dem, was sie irgendwie trägt und ihnen auch weiterhilft. Da ist der Balsam schon mal ganz gut. Es gibt aber auch engagierte Gruppen und Gemeinden, die seit letzter Woche ständig Gebetstreffen machen. Die evangelische Kirche hat ein großes Friedensgebet mit 200 Leuten veranstaltet. Das Wichtigste, was die Kirche tun kann: Dafür beten, dass Gott diese Kräfte, die sich da entfesseln, im Zaum hält und daraus Aktionen ableiten.

DOMRADIO.DE: Heute soll ein Konzert stattfinden, unter anderem mit der Punkband "Die Toten Hosen". Was denken Sie darüber: Ist das hilfreich oder heizt das die Atmosphäre in einer Stadt wie Chemnitz weiter an?

Weyandt: Das ist die Frage. Heizt das die Atmosphäre an? Was soll denn am Ende sein, sollen alle Leute ruhig sitzen und den Mund halten? Man muss wirklich bedenken, dass es eben verschiedene Kulturen gibt. Und "Kraftklub" ist eine ganz wichtige Ur-Chemnitzer Band, die dabei auch teilnimmt. Aber es gibt eine kulturelle Spaltung. Letztlich geht es um das, was diese kulturelle Initiative "Wir sind mehr", angeleiert hat. Wir werden nicht zu Frieden kommen, wenn wir nur einfach sagen: Ruhig und einer tut dem anderen nichts.

Chemnitz wird in 20 Jahren einen so hohen Anteil an über 65-Jährigen haben wie keine andere Region Europas. Im Vergleich: London wird lediglich zehn Prozent haben. Durch den Zuzug von Flüchtlingen ändert sich das natürlich. Die vielen Kinder und Jugendlichen werden dann, wenn sie in Chemnitz bleiben und dort gut aufwachsen können, das Bild von Chemnitz gestalten. Aber das wird für die heute Mitte 60-Jährigen natürlich ein total anderes Chemnitz sein als sie es sich vorgestellt haben und aus ihrer Kindheit kennen. Sie haben jetzt in den letzten drei, vier Jahren eine enorme Transformation ihrer Stadt erlebt. Dass muss man auch sehen. Und dafür muss man auch Verständnis haben.

Das Gespräch führte Verena Tröster.


Quelle:
DR
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