Seit der tödlichen Messerattacke, wegen der ein 22 Jahre alter Iraker und ein 23-jähriger Syrer als Tatverdächtige in Untersuchungshaft sitzen, hat es nicht nur ausländerfeindliche Proteste und Ausschreitungen in Sachsens drittgrößter Stadt gegeben. Es gab auch zahlreiche Aufrufe und Initiativen gegen Rechts.
Das Bündnis "Chemnitz Nazifrei" hat für Samstag eine Protestveranstaltung gegen eine am selben Tag geplante AfD-Demonstration angekündigt. Für Sonntag plant neben anderen Initiativen auch die evangelische Kirche eine eigene Kundgebung in der Chemnitzer Innenstadt. Sie ruft auch andere Konfessionen und Religionen, Einrichtungen und Verbände aus Gesellschaft und Kultur dazu auf, sich anzuschließen. Die Demonstration trägt das Motto: "Wir in Chemnitz - aufeinander hören, miteinander handeln".
Der Katholikenrat im Bistum Dresden-Meißen ruft zur Teilnahme an der Kundgebung auf. "So setzen wir gemeinsam ein Zeichen für ein respektvolles, friedliches Miteinander, für die Würde jedes Einzelnen und unsere Demokratie, für die Einhaltung des Rechts und den offenen Dialog", erklärte die Ratsvorsitzende Martina Breyer. Auf Twitter betont der Rottenburg-Stuttgarter katholische Bischof, Gebhard Fürst, dass nun Wachsamkeit und Mut gefragt seien. Er warnte zugleich davor, mit dem Finger auf Chemnitz und Sachsen zu zeigen. Auch im Südwesten stünden fremdenfeindliche Kräfte und Rechtspopulisten in den Startlöchern. Einige von ihnen hätten an den Demonstrationen in Chemnitz teilgenommen.
Politiker rufen zum Einsatz für Demokratie auf
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) war am Freitag als erstes Mitglied der Bundesregierung am Freitag nach Chemnitz gereist. Am Tatort legte sie Blumen nieder. Sie betonte dort: "Mir war klar, dass ich herkommen muss - um zu hören, was Sie brauchen in Ihrem so wichtigen Einsatz für Demokratie und Zusammenhalt." Anschließend traf sie Vertreter der Zivilgesellschaft.
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse rief in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Menschen in Sachsen auf, sich von Rechtsextremisten nicht einschüchtern zu lassen. Er wolle kein "Sachsen-Bashing" betreiben, betonte Thierse. Er kritisierte aber, dass die CDU-geführte sächsische Landesregierung das Problem des Rechtsextremismus jahrelang verharmlost habe. Politiker, aber auch Vertreter anderer Institutionen wie die Kirchen müssten das Gespräch mit denjenigen suchen, die etwa durch Globalisierung, Zuzug von Migranten und die fortschreitende Digitalisierung verunsichert seien, forderte Thierse.
Justizministerin Katharina Barley (SPD) appellierte im tagesschau.de-Interview zu mehr gesellschaftspolitischem Einsatz: "Wir müssen klar machen: Wer auf solchen Demos unterwegs ist, der muss sich das zurechnen lassen. Wenn der auf einer Demo unterwegs ist, wo die Leute rechtsradikale Sprüche brüllen, Menschen angreifen und den Hitlergruß zeigen, der kann sich nicht mehr verstecken und sagen: 'Ich bin ja nur ein besorgter Bürger'. Dann ist man Teil eines rechtsradikalen Mobs."
Haftbefehl-Veröffentlichung: Justizbediensteter suspendiert
Nach der Veröffentlichung des Haftbefehls zur tödlichen Messerstecherei von Chemnitz ist ein sächsischer Justizbediensteter vom Dienst suspendiert worden. Bei den am Mittwoch von der Staatsanwaltschaft Dresden aufgenommenen Ermittlungen habe sich der Anfangsverdacht gegen den Justizvollzugsbeamten derart erhärtet, dass diesem mit sofortiger Wirkung vorläufig die Führung der Dienstgeschäfte verboten wurde, teilte das sächsische Justizministerium am Donnerstagabend in Dresden mit.
Laut Justizministerium waren zuvor am Mittwochabend zahlreiche Objekte durchsucht worden. Die Ermittlungsmaßnahmen konzentrierten sich demnach auf die Justizvollzugsanstalt Dresden. Offenbar sei der Fahndungsdruck so groß gewesen, dass sich der Mann gestellt habe. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) nannte die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten eines Strafverfahrens "verantwortungslos" und "einen schwerwiegenden Vorwurf".
Die Veröffentlichung des Haftbefehls sei geeignet, die laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren zu erschweren und im schlimmsten Falle den Erfolg eines Ermittlungsverfahrens zu gefährden. "Wir können es deshalb in keiner Weise dulden, wenn ein Bediensteter so etwas tut und werden konsequent dagegen vorgehen", sagte Gemkow. Ein Foto des mutmaßlichen Haftbefehls war in sozialen Netzwerken aufgetaucht und weiterverbreitet worden, unter anderem auf der Facebook-Seite des Dresdner "Pegida"-Mitbegründers Lutz Bachmann.