24 unebene Stufen führen steil hinab in einen nischenverzierten Raum. Die Luft ist mit Feuchtigkeit gesättigt. Hier, aus der Vorkammer, führt ein enger Durchgang an jene Stelle, die seit Jahrhunderten Pilger anzieht. In dieser Höhle soll Lazarus begraben gewesen sein, bevor Jesus ihn laut Bibel nach vier Tagen von den Toten auferweckte. Ein umfassendes Restaurierungsprojekt hat sich nun die Auferweckung der reichen Geschichte des biblischen Bethanien zum Ziel gesetzt. Profitieren sollen Besucher und Bewohner des heutigen palästinensischen Ortes Al-Eizarija.
Verehrung des Lazarusgrabs
Spätestens seit dem vierten Jahrhundert ist eine Verehrung des Lazarusgrabs belegt, erklärt Kunsthistorikerin Carla Benelli, Verantwortliche für die Kulturprogramme des Hilfswerks der Franziskanerkustodie, ATS-Pro Terra Sancta, das zusammen mit dem Mosaikzentrum von Jericho und der italienischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit hinter den Restaurierungen steht.
Eine erste Kirche entstand Ende des vierten Jahrhunderts neben dem Grab. Vermutlich fiel sie einem Erdbeben zum Opfer und wurde im 6. Jahrhundert durch eine größere Kirche ersetzt. Die Kreuzfahrer im 12. Jahrhundert vergrößerten die Anlage erneut. Zwei neue Kirchen entstanden, eine von ihnen direkt über dem Grab. Daneben ließ Kreuzfahrerkönigin Melisande ein eindrucksvolles Frauenkloster errichten. Dessen Befestigungstürme, oder besser: was von ihnen nach der Zerstörung durch Saladin übrigblieb, galten lange als Wahrzeichen Bethaniens.
Aus der Kirche über der Grabkammer wurde ein islamisches Gotteshaus, das im 16. Jahrhundert zur heutigen Al-Usair-Moschee ausgebaut wurde, ein Beispiel einer im Heiligen Land häufiger anzutreffenden Überlagerung verschiedener Traditionen, sagt Carla Benelli. Zwar werde ein Lazarus im Koran nicht genannt, wohl aber ein ähnliches Auferweckungswunder. Im Laufe der Zeit wurde es mit dem Propheten Esra, arabisch Usair, identifiziert.
Grab in schlechtem Zustand
Die anfängliche Vermischung von Christen und Muslimen zum Gebet an der verehrten Stätte hingegen sorgte für Verwirrung. Der ursprüngliche Zugang zum Grab, heute unter der Moschee, wurde nach einem Abkommen mit den Franziskanern im 16. Jahrhundert zugemauert, ein neuer Abstieg in den Felsen gehauen. Idyllisch liegt er heute an der kleinen Straße, die die franziskanische Lazaruskirche von 1954 am Fuß des Hügels mit ihrem griechisch-orthodoxen Pendant weiter oben verbindet, in der Mitte die Moschee.
Das Grab sei zuletzt in einem sehr schlechten Zustand gewesen, erklärt Projektkoordinator und Architekt Osama Hamdan die Notwendigkeit der Interventionen. Die mittelalterliche Kreuzfahrerstätte habe durch Vernachlässigung gar vor dem völligen Verfall gestanden. Immer wieder stößt das Team auf Überraschungen, die beiden Ossuarien etwa, die im Boden der Grabkammer gefunden wurden und nach Einschätzung von Benelli auf eine Verehrung der Schwestern des Lazarus, Maria und Marta, deuten könnten. Der jüngste Fund: Reste des Baptisteriums der ersten Kirche. Dass im Rahmen der Arbeiten auch die muslimische Seite des Grabs restauriert werden konnte, werten die Projektverantwortlichen ebenso als Erfolg wie die gelungene Mobilisierung der einheimischen Bevölkerung.
Geschichte und ihren Schichten
Einst trennte der Ölberg Bethanien von Jerusalem. An einer wichtigen Verbindungsstraße gelegen, war es ein Tor auf dem Weg vom Jordantal. Aus einer direkten Linie von knapp drei Kilometern sind heute 17 Kilometer geworden. Die Mauer und die israelische Siedlung Maale Adumim ersticken Al-Eizarija, beklagt ein Vertreter des palästinensischen Awqaf-Ministeriums für religiöse und islamische Angelegenheiten bei der Einweihung des Projekts am Dienstag. Für Reisegruppen ist Bethanien-Al-Eizarija damit zu einem beschwerlichen Umweg geworden. Entsprechend groß sei die Freude über die Hilfe durch das Projekt. Sie sei "eine starke Botschaft, die gleichzeitig das Mosaik von Christen und Muslimen vor Ort stärkt".
500.000 Besucher kamen nach Angaben von Bürgermeister Issam Farun vor der Pandemie jährlich. Ihre Covid-19-bedingte Abwesenheit, für die Menschen in dem kleinen Ort wirtschaftlich ein Drama, erleichtert zumindest den Restauratoren die Arbeiten. Wenn der Pilgerbetrieb einst wieder startet, wird erstmals die ganze Geschichte in ihren Schichten zu sehen sein.