DOMRADIO.DE: Der Papst sagt "I'm sorry". Wie wirkt diese Entschuldigung auf Sie?
Johannes Norpoth (Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz): Zweischneidig. Einerseits natürlich ein bedeutendes, großes Zeichen, wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche so deutlich auch von Angesicht zu Angesicht vor Ort um Entschuldigung für diese Gräueltaten bittet. Andererseits fehlt mir ein eindeutiges Bekenntnis zur Schuld der Institution Kirche, des institutionellen Versagens und der damit verbundenen Verbrechen. Auch das fehlt mal wieder, leider. Wir sind in Deutschland nahezu gewohnt, von Oberhirten Entschuldigungen im Kontext der sexualisierten Gewalt zu hören. Leider fehlt regelhaft das deutliche "mea culpa" für das institutionelle Versagen.
DOMRADIO.DE: Kritiker sagen, viel wichtiger als Worte wären Taten wie höhere Anerkennungszahlungen oder die Änderung der kirchlichen Machtstrukturen. Gehen Sie da mit?
Norpoth: Ja, selbstverständlich. Mir ist es nahezu unverständlich, dass auf der einen Seite in den letzten zwei Tagen der Heilige Vater um Entschuldigung und Vergebung bei Gewaltopfern der Kirche bittet, andererseits aber aus Rom eine als "Basta!" anmutende kurze Mitteilung zum Synodalen Weg kommt, der sich bekanntlich um die systemischen Ursachen von sexualisierter Gewalt in der Kirche kümmert. Wir sind uns auch alle im Klaren darüber, dass das kein deutsches Problem ist, sondern ein weltweites Problem. Insofern passt das an dieser Stelle nicht wirklich kongruent zueinander.
DOMRADIO.DE: Wenn wir noch mal nach Kanada schauen, da gibt es innerhalb der indigenen Gemeinschaft große Uneinigkeit, ob man dem Papst und der Kirche überhaupt vergeben kann, auch nach so einer Geste. Offizielle Vertreter tun das zwar, aber andere sagen, bei dem schweren Leid, das ihnen angetan wurde, können sie gar nicht vergeben. Wie sehen Sie das?
Norpoth: Die Vergebungsbitte und die Vergebungsfunktion sind sehr sensible Instrumente. Ich kann jedes Opfer sexualisierter Gewalt oder generell jedes Gewaltopfer verstehen, wenn es gegenüber dem Täter und der Täterorganisation keinerlei Vergebung geben kann. Umgekehrt habe ich auch für Menschen Verständnis, die genau das tun. Die Breite der persönlichen Schicksale und dem damit verbundenen Umgang auch mit dem Täter - und wenn wir von der katholischen Kirche reden, immer auch mit von der Täterorganisation - ist so individuell, wie die Fälle an sich sind. Insofern glaube ich, gibt es für beide Richtungen ein großes Verständnis und großen Respekt. Man muss auch respektieren, wenn Menschen sagen, dass sie eine solche Gräueltat nicht vergeben können. Das ist völlig nachvollziehbar und mehr als menschlich.
DOMRADIO.DE: Der vatikanische Außenbeauftragte, Erzbischof Gallagher, sagte im DOMRADIO.DE-Interview, dass so ein Besuch bei Opfern kirchlichen Unrechts auch in Deutschland prinzipiell denkbar wäre. Unwahrscheinlich, aber tatsächlich denkbar. Würden Sie sich das wünschen, einen persönlichen Besuch und ein Schuldeingeständnis vom Papst zum Beispiel in Deutschland?
Norpoth: Vielleicht werde ich ja hier gehört. Herzliche Einladung nach Rom an Erzbischof Gallagher, aber auch an den Heiligen Vater. Selbstverständlich wäre es ein sehr deutliches und starkes Zeichen des Heiligen Vaters, wenn er zu einer solchen Buß-Reise, denn als solches hat er ja die Reise jetzt auch nach Kanada bezeichnet, auch nach Deutschland antritt. Ich würde gerne mit ihm über die unterschiedlichsten Dinge reden.
Seit einer Woche diskutieren wir über die Frage, wer für was zuständig ist. Warum führen Konsequenzen in bischöflichen Ämtern im Kontext von sexualisierter Gewalt, Vertuschung, also Strafvereitelung, nicht zur Annahme von Rücktritten? Warum ist es immer noch nicht gelungen, dass Betroffene im Rahmen der kirchenrechtlichen Verfahren als Nebenkläger auftreten und Akteneinsicht bekommen? All das sind Dinge, die in Rom entschieden werden. Ich würde mich gerne mit ihm nicht nur über eine persönliche Entschuldigung und eine institutionelle Entschuldigung, sondern über die vielen Themen mit ihm persönlich unterhalten, die letzten Endes auch in dieser universalen Kirche in Rom gesteuert und verantwortet werden.
DOMRADIO.DE: Wobei man ja jetzt sagen könnte, wenn der Papst jeden Ort bereist, wo kirchliches Unrecht geschehen ist, dann hätte er viel zu tun, oder?
Norpoth: Dann wäre er nicht mehr in Rom. Auch in Rom wird es natürlich sexualisierte Gewalt geben, aber sexualisierte Gewalt ist nun mal ein weltweites internationales Problem. Man muss vielleicht dazu sagen, dass das kein exklusives katholisches Problem ist. Nur die Fallhöhe in unserer katholischen Kirche ist die größte und maximale, die man sich nur vorstellen kann. In Verbindung mit der Situation, dass wir auf der einen Seite die Taten haben, andererseits aber auch in Folge Vertuschung. Das Forscherteam um Professor Großbölting hat in der Studie aus Münster noch einmal sehr deutlich gesagt, Vertuschung ist eine sehr moderne und ein bisschen verklärt ausgedrückte Form von Strafvereitelung.
Das heißt, der Straftat sind weitere Straftaten gefolgt und dementsprechend muss einfach auch endlich das institutionelle Versagen der Kirche eine wesentliche Rolle in den weiteren Diskussion spielen. Insofern ja, vielleicht wäre der Heilige Vater sehr stark beschäftigt, ist er ohnehin, mit solchen Buß-Reisen. In Deutschland würde er auf Betroffene treffen, die sich sehr intensiv um wirklich transparente Aufarbeitung, aber auch um Lösungen der systemischen Probleme kümmern möchten und wollen und auch dafür seine Unterstützung benötigen.
Das Interview führte Hannah Krewer.