DOMRADIO.DE: Wegen 110-fachen sexuellen Missbrauchs hat das Landgericht Köln eine zwölfjährige Haftstrafe gegen den früheren katholischen Pfarrer U. verhängt. Ist dieses hohe Strafmaß wichtig für die Opfer des Pfarrers und auch stellvertretend für alle anderen Betroffenen sexualisierter Gewalt durch Kleriker?
Jens Windel (Aktionsbündnis Eckiger Tisch und Mitglied der Betroffenen-Initiative Hildesheim): Ich glaube, das ist ein sehr deutliches Zeichen, dass endlich etwas passiert und dass in den Gerichten angekommen ist, was es überhaupt bedeutet, missbraucht worden zu sein und dass es dafür auch entsprechende Strafen gibt. Ich halte diese Strafe für angemessen und auch für absolut richtig.
DOMRADIO.DE: Der 70 Jahre alte Pfarrer muss außerdem drei Nebenklägerinnen Schmerzensgeld zahlen - einmal 5.000 Euro, einmal 10.000 und einmal 35.000 Euro. Ist auch das angemessen aus Ihrer Sicht?
Windel: Ich bin etwas enttäuscht. So sehr ich die Vorgehensweise von Richter Kaufmann beeindruckend fand, wie er die Zeugen vernommen hat und auch nicht nachgiebig gewesen ist, so finde ich, dass das Schmerzensgeld recht gering ausgefallen ist. Man darf nicht vergessen, dass diese Schmerzensgelder in dieser Höhe schon vor 20 Jahren verhängt wurden. Da hätte ich mir ein deutlicheres Zeichen gewünscht, dass da eine Dynamik eintritt und Schmerzensgeld in einer der Zeit geschuldeten Höhe beschieden wird.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen bestimmten Betrag, bei dem Sie gesagt hätten, ab da wäre es angemessen gewesen?
Windel: Zumindest hätte ich mir gewünscht, dass man sich oberhalb der 50.000 Euro bewegt. Man darf nicht vergessen, was ein sexueller Missbrauch nach sich zieht, wie dadurch die Biografie zerstört wird, wozu man selber nicht mehr in der Lage ist, was für andere Menschen völlig normal ist. Und das zeigen diese Summen in keinster Weise.
DOMRADIO.DE: Der Prozess hat ja zwischendurch eine besondere Wendung genommen. Während des Prozesses ist Richter Kaufmann eine Frau im Zuschauerraum aufgefallen, die besonders emotional reagiert hat. Dann hat sich herausgestellt, dass auch diese Frau ein Opfer des Priesters war. Wie wichtig sind für Betroffene nicht nur die Strafen, sondern auch die Prozesse im Hinblick darauf, dann vielleicht selbst mit dem Erlebten an die Öffentlichkeit zu gehen?
Windel: Ich halte das für sehr wichtig, weil den Betroffenen oftmals nicht geglaubt worden ist. Man hat sich teilweise nicht getraut, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil man einerseits als Kind oder als Jugendlicher sowieso keine Möglichkeit hatte, gerichtlich dagegen vorzugehen und wenn man sich einer Vertrauensperson anvertraut hat, es oft verboten wurde, diese Anschuldigungen auszusprechen.
Wenn man sich als Erwachsener an die Kirche gewandt hat, dann stand man Juristen gegenüber oder es wurde dementsprechend nicht weiter verfolgt.
Das Urteil, dass man sich dem jetzt wirklich angenommen hat, zeigt, dass man ernst genommen wird und dass es tatsächlich auch so geschehen ist. Und das ist mit das Wichtigste für die Betroffenen, dass klar wird: Es war kein Gespinne von jemandem, der nur behauptet, sexuell missbraucht worden zu sein.
DOMRADIO.DE: Der Richter hat sich während des Prozesses über die Aufarbeitungsstrategien der Kirche gewundert. Wie wichtig ist so ein zivilrechtlicher oder - platt gesagt - weltlicher Prozess für ein Umdenken in der Kirche?
Windel: Ich habe damals schon davor gewarnt, dass diese Schmerzensgelder, die von der UKA (Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen) nur als "Anerkennung des Leids" bezeichnet werden, viel zu gering sind. Wenn man da eine wirkliche Lösung gefunden hätte, jemandem eine Anerkennung des Leids zu zahlen oder es vielleicht auch Schmerzensgeld genannt hätte, wäre das ein wichtiger Schritt für den Heilungsprozess gewesen.
Da diese Summen so verschwindend gering sind, halte ich es für unabdingbar, dass man sich damit jetzt auch auf juristischer Ebene befasst, damit es den Opfern wirklich besser geht, in dem sie ein Recht zugesprochen bekommen. Von daher finde ich es ganz, ganz wichtig, dass man sich jetzt damit befasst.
DOMRADIO.DE: Würden Sie vermuten, dass durch dieses Strafmaß bei Verantwortlichen in der Kirche ein Umdenken passiert beziehungsweise dass ihnen noch mal deutlich wird, wie groß das Ausmaß dieser Fälle ist?
Windel: Man konnte es ja anhand der Aussagen von Prälat Assenmacher und Erzbischof Heße sehen, dass sie Freiraum hatten, wie sie mit sexuellem Missbrauch umgegangen sind. Ich denke, ein Strafmaß von zwölf Jahren ist auf jeden Fall ein deutliches Zeichen, dass seitens der Kirche jetzt anders damit umgegangen werden muss. Es bleibt interessant, ob dieses Verfahren auf zivilrechtlicher Ebene noch weitergeht und man prüft, inwieweit Verantwortungsträger zur Rechenschaft gezogen werden können.
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, wird dieses Strafmaß für noch laufende Prozesse bedeuten? Ist das so eine Art Präzedenzfall?
Windel: Ich weiß nicht, ob es tatsächlich ein Präzedenzfall sein wird. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass weiter überprüft wird, inwieweit andere noch mit in die Verantwortung genommen werden können. Das wäre ein sehr deutliches Zeichen auch an die katholische Kirche. Und wenn es zu einem höheren Schmerzensgeld kommen würde, was zivilrechtlich erstritten werden muss, wäre dies ein deutliches Signal für alle Betroffenen und natürlich auch für die katholische Kirche, dass ihre Anerkennung des Leids viel zu niedrig ist.
Das Interview führte Hannah Krewer.