Betroffenenvertreter fordert Verzicht auf Verjährungseinrede

"Die nächste moralische Bankrotterklärung"

Betroffenenvertreter Johannes Norpoth fordert die Bistümer auf, bei Missbrauchsfällen auf die Verjährungseinrede zu verzichten. Nur so könnten Opfer ihre Ansprüche vor Gericht durchsetzen und die Kirche mehr Verantwortung übernehmen.

Autor/in:
Lara Burghardt
Insignien weltlicher Gerichtsbarkeit: Hammer, Justitia und Aktenstapel. / © Volker Hartmann (dpa)
Insignien weltlicher Gerichtsbarkeit: Hammer, Justitia und Aktenstapel. / © Volker Hartmann ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben gestern noch einen Initiativantrag über den Verzicht auf die Verjährungseinrede eingereicht. Was genau ist der Inhalt dieses Antrags? 

Johannes Norpoth (Mitglied des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz): Das Problem ist, dass viele Missbrauchstaten im Rahmen der katholischen Kirche mittlerweile verjährt sind. Das betrifft bei diesen Fragestellungen nicht nur die rein strafrechtliche Relevanz. Verjährung heißt hier, dass die zuständigen Staatsanwaltschaften nicht mehr weiter ermitteln, weil sie das nicht dürfen. 

Johannes Norpoth / © Julia Steinbrecht (KNA)
Johannes Norpoth / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Diese Verjährungsfristen wirken sich auch auf sogenannte zivilrechtliche Klagen aus. Das heißt, einzelne Betroffene klagen gegen das Bistum, das im Kontext ihres eigenen Falles zuständig ist. Und wenn da Verjährung eintritt, dann kann die beklagte Seite, in dem Fall das Bistum, die sogenannte Einrede der Verjährung geltend machen. Das heißt, das Gericht muss sich nicht primär um den Inhalt der Klage kümmern, zum Beispiel eine Schadensersatzklage in einer im Regelfall beträchtlichen Höhe, sondern nur um den rein formalen Akt der Klage. Ist die Tat, die hier beklagt wird, verjährt? Ja oder nein? 

Johannes Norpoth

"Lasst die Einrede der Verjährung, stellt euch den Gerichten."

Das ist im Moment ein großes Problem, weil es unterschiedliche Bistümer gibt, die diese Einrede der Verjährung nutzen. In Aachen ist es in zwei Fällen bereits zu einer entsprechenden Bestätigung durch das Gericht gekommen. Hier liegen die Verfahren mittlerweile in der Berufung, um das noch mal zu überprüfen.

In Hildesheim hat das Bistum mitgeteilt, dass im weiteren Verfahren beabsichtigt ist, auch die Einrede der Verjährung geltend zu machen. Das bedeutet, wie gesagt, das Bistum muss sich auf der fachlichen und inhaltlichen Ebenen gar nicht mehr der Verantwortung stellen, sondern es wird versucht, das Verfahren auf der Ebene der Nicht-Zulassung, quasi zu beenden. Und das bedeutet am Ende Geld sparen für die Bistümer. 

DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich denn vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zu dem Thema? 

Norpoth: Eine eindeutige und klare Positionierung der Bistümer. Hier sind ganz klar die Bistümer, nicht nur die Bischöfe als Adressaten, sondern die Bistümer als Organisation und damit auch die zum Beispiel in Vermögensräten engagierten Laien gemeint. Verzichtet auf die Einrede der Verjährung. Stellt euch der gerichtlichen Klärung der geltend gemachten Ansprüche. 

Johannes Norpoth

"Wir reden von einer großen moralischen Verantwortung, die die katholische Kirche hier übernehmen muss."

Das ist ein schmerzlicher Prozess, aber ich glaube, es ist der einzige Weg. Und der Verzicht auf die Einrede der Verjährung ist aufgrund der juristischen Besonderheit der Verjährungsproblematik der einzig sichere Weg für Betroffene, ihre eigenen Ansprüche und ihre Forderungen, die sie haben, vor einem weltlichen Gericht objektiv und neutral beurteilen zu lassen. 

Wenn sich Bistümer dagegen wehren, dann ist das eine Gefahr. Ich würde sagen, die nächste Stufe der moralischen Bankrotterklärung. Das muss man einfach so sehen. Ich möchte, dass das ZdK sich an dieser Stelle eindeutig positioniert und fordert: Lasst die Einrede der Verjährung, stellt euch den Gerichten. (d. Red.: Das ZdK hat sich nun positioniert und fordert die deutschen Bistümer auf, bei zivilrechtlichen Klagen von Betroffenen sexueller Gewalt auf Zahlung von Schadenersatz auf die Einrede der Verjährung zu verzichten).

DOMRADIO.DE: Was genau war der Anlass dazu, diesen Antrag gestern loszuschicken? 

Norpoth: Es gibt ganz viele, hier im ZdK, die sich ehrenamtlich engagieren. Die haben dann eine sogenannte existenzsichernde Nebenbeschäftigung. Zu denen gehöre ich auch. Das ist der eine Punkt. Aber der zweite Punkt ist, dass das Thema, mit dem Verfahren vor dem Landgericht in Hildesheim, eine neue Dimension bekommen hat. Das Bistum Hildesheim hat verkündet, wenn sich die Parteien im Verfahren nicht gütlich einigen, dann würde das Bistum die Einrede der Verjährung beantragen. 

Auf der anderen Seite hat das Bistum Essen in einem Fall sehr deutlich erklärt: Wir verzichten auf die Einrede der Verjährung. Wir stellen uns der weiteren prozessualen Auseinandersetzung und auch damit der gerichtlichen Klärung. Insofern ist auch das eine Motivation zu sagen, wir reden von einer großen moralischen Verantwortung, die die katholische Kirche hier übernehmen muss. 

Das Interview führte Lara Burghardt.

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist das höchste repräsentative Gremium des deutschen Laien-Katholizismus. Es vertritt die katholischen Laien bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und ist das von der Bischofskonferenz anerkannte Organ zur Koordinierung des Laienengagements in der Kirche. Allerdings melden sich immer wieder auch einige katholische Laien und Vereinigungen zu Wort, die das ZdK nicht als ihre Vertretung verstehen.

Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)  / © Harald Oppitz (KNA)
Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR