KNA: Herr Katsch, Sie und andere Opfer von Missbrauch unternehmen hier in Rom viel, um auf Ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Sind Sie in diesen Tagen zuversichtlicher oder skeptischer geworden?
Matthias Katsch (Vorsitzender des "Eckigen Tischs" in Deutschland und Gründungsmitglied des internationalen Netzwerks "Endig Clergy Abuse"): Am Montag hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass es einer Gruppe von 40, 50 Betroffenen gelingt, diesem Krisengipfel derart den Stempel aufzudrücken. Dies zeigt: Die Zeit ist reif. Die Betroffenen müssen die Kirche nicht mehr um etwas bitten oder auf etwas hoffen, sondern sie sind in der Position zu fordern - und zwar entschiedene Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen weltweit. Denn das wird hier in Rom auch sehr deutlich: Es ist eine globale Krise der katholischen Kirche.
KNA: Am Freitagnachmittag war der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bei Ihnen. Wie lief das Gespräch aus Ihrer Sicht?
Katsch: Es war ein gutes Gespräch. Das ist die Art und Weise, wie wir Gespräche führen wollen. Wir sind nicht hierhergekommen, um die Kirche zu beschimpfen. Wir sind hergekommen, um Zusammenarbeit anzubieten - um der Sache willen. Wir haben auch angeboten, dem Papst persönlich unser Anliegen vorzutragen und ihn zu fragen, was so schwer daran ist, "Null Toleranz" auch im Kirchenrecht zu verankern.
Die Betroffenen weltweit warten auf ein eindeutiges Signal aus Rom und nicht auf eine lange Wäscheliste wichtiger Einzelpunkte, die zum Teil seit Jahren diskutiert werden oder die der Vatikan vor Jahren den Vereinten Nationen versprochen hat, wie etwa unabhängige Anlaufstellen.
KNA: Wen außer Marx und dem englischen Kardinal Vincent Nichols haben Sie noch getroffen?
Katsch: Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit dem Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich zu sprechen. Das war auch ein Beispiel eines sehr gelungenen Dialogs. Wir haben festgestellt, dass wir quasi in allen Punkten übereinstimmen. Auch ihn habe ich ermutigt, in den Konflikt zu gehen. Man kann auf diesem Gipfel nicht alle Konflikte zukleistern. Weil wir hier auch stehen in Sorge um die Opfer, die vielleicht nächste Woche missbraucht werden - irgendwo am anderen Ende der Welt.
KNA: Was halten Sie von den bei der Konferenz bisher gemachten Vorschlägen von Kardinal Blase J. Cupich oder der vatikanischen Kirchenrechtlerin Linda Ghisoni insbesondere zu einer besseren Rechenschaftspflicht von Kirchenoberen?
Katsch: Ich halte das alles für gut. Da ist zweifellos viel Konstruktives dabei. Wir wissen ja, dass wir ganz viele Verbündete in der Kirche haben. Nur noch einmal: Das universale Kirchenrecht widerspricht in vielem dem, was hier geäußert wird. Denken Sie – nur als ein Beispiel – an das vielbeschworene "Päpstliche Geheimnis". Das gilt immer noch. Nun kann man sagen, das sei so nicht gemeint und man wolle es im Fall von Missbrauch nicht anwenden. Ja, dann ändert es doch, sage ich dann.
Wir akzeptieren nicht, dass man sich an der Spitze weigert, klare verfassungsmäßige Vorgaben zu machen - deren Umsetzung ist dann immer noch etwas anderes. Ich verstehe diese Weigerung, weil ich weiß, dass hinter diesen Mauern 'Kriminelle' – so will ich sie mal nennen – sitzen, die viel zu verlieren haben, weil sie viel Unheil angerichtet haben in den letzten 30 Jahren. Die wissen, dass wir das wissen, und bremsen. Aber wir können nicht länger auf diese Leute Rücksicht nehmen. Dafür ist die Lage zu ernst.
Das Interview führte Roland Juchem.