DOMRADIO.DE: Warum muss die Bibel in die Gebärdensprache übersetzt werden? Gehörlose Menschen könnten die Bibel doch lesen?
Eva Mündlein (Autorin und Redakteurin der Zeitschrift Bibelreport): Den Einwand, dass Menschen ohne Gehör doch einfach die Bibel lesen können, gibt es immer wieder. Dazu muss man wissen, für gehörlose Menschen ist die Gebärdensprache, die sie benutzen, ihre Muttersprache. Wenn sie die von klein auf erlernt haben, mit der aufgewachsen sind, ist das einfach die Sprache, in der sie denken und träumen.
Es ist so, dass eine gesprochene Sprache, die man noch nie in seinem Leben gehört hat, immer eine Fremdsprache bleiben wird, die muss man in der Schule erst mühsam erlernen. Viele gehörlose Menschen tun sich deswegen mit Texten einfach schwer.
DOMRADIO.DE: Ist das abstrakt für sie?
Mündlein: Es ist abstrakt und es ist einfach nicht ihr Medium, es ist fremd. Das ist auch der Grund, warum die Bibelgesellschaften die Bibel in Gebärdensprache übersetzen, weil sie allen Menschen die Bibel in ihrer Muttersprache anbieten möchten. Das ist für Menschen, die nicht hören können, in der Regel die Gebärdensprache.
DOMRADIO.DE: Warum ist eine Übersetzung der Bibel in Gebärdensprache aus Ihrer Sicht außerdem wichtig?
Mündlein: Es gibt noch zwei weitere Aspekte. Zum einen ist global gesehen die Analphabetenrate unter gehörlosen Menschen höher als bei Hörenden. Das hängt damit zusammen, dass gehörlose Menschen oft in vielen Ländern nicht dieselben Bildungschancen haben. Sie können kaum zur Schule gehen und lernen deshalb oft das Lesen und Schreiben nicht.
Aber in Gebärdensprache können sie eine Bibel trotzdem nutzen, wenn es eine gibt. Außerdem ist eine Bibel in Gebärdensprache auch immer ein politisches Signal, weil es für diese Menschen unheimlich wichtig ist, dass ihre Sprache offiziell anerkannt wird im Land. Das ist noch nicht in allen Ländern der Fall. Das heißt, wenn es da eine entsprechende Übersetzung gibt, stärkt das auch die Gehörlosen-Community in dem Land.
DOMRADIO.DE: Warum kann man nicht die Bibel einfach schnell in Gebärdensprache übersetzen?
Mündlein: Das funktioniert zum einen schon deshalb nicht, weil es nicht die eine Gebärdensprache gibt. Es gibt wie bei gesprochenen Sprachen eine sehr große Vielfalt. Es existieren weltweit 400 Gebärdensprachen und das heißt, dass die Bibel in alle diese Sprachen übersetzt werden muss. Dazu kommt, dass man von einem Text in ein Video übersetzen muss. Das ist ein sehr aufwendiger Prozess und der kostet sehr viel Zeit sowie personelle Ressourcen.
DOMRADIO.DE: Aus einem Bibeltext entsteht ein Video in Gebärdensprache. Warum ist es wichtig, dass die Übersetzungen von Muttersprachlern der Gebärdensprache vorgenommen werden?
Mündlein: Zunächst ist es einfach ein allgemeiner Grundsatz von Bibelgesellschaften, dass Übersetzungen immer von Muttersprachlern gemacht werden. Das gilt für jede Übersetzung. Für die Übersetzung in Gebärdensprache ist es besonders wichtig, weil nur so sichergestellt wird, dass die Übersetzung nachher verständlich ist und dass sie angenommen wird in der Gehörlosen-Community.
DOMRADIO.DE: Übersetzt wird, wie bei den gesprochenen Sprachen aus dem biblischen Urtext-Ausgaben. Aber es gibt sicher nicht für alle Orte und Personen der damaligen Zeit schon Gebärden, oder?
Mündlein: Nein, die gibt es natürlich nicht. Das ist eine der großen Herausforderungen bei dieser Übersetzungsarbeit. Denn es gibt sehr spezifische Begriffe in der Bibel, die sehr zeitgebunden sind. Es gibt jede Menge Namen und Orte, für die man neue Gebärden erfinden muss.
Vielleicht an zwei Beispielen kurz gezeigt: In der slowakischen Übersetzung wird Pilatus mit der Gebärde für Händewaschen benannt, und Adam zum Beispiel hat die Gebärde "der erste Mensch" bekommen. Der Projektleiter hat uns in einem Interview erzählt, dass er mit seinem Team stundenlang überlegt hätte, wie sie das Kamel durch das Nadelöhr gehen lassen sollen. Das ist eine ganz bekannte Stelle im Neuen Testament und sehr schwierig in Gebärden zu übersetzen. Da sieht man, dass eine Übersetzung auch eine sehr kreative Arbeit ist und dass man sehr viele gute Ideen braucht.
DOMRADIO.DE: Man will wahrscheinlich auch nicht, dass etwas falsch ankommt.
Mündlein: Nein, genau. Man muss da sehr sorgfältig Dinge abwägen und neue Gebärden verständlich übersetzen und überbringen.
DOMRADIO.DE: Wahrscheinlich auch überprüfen, ob es wirklich ankommt. Sind Sprachwissenschaftler mit dabei?
Mündlein: Genau. Es sind Sprachwissenschaftler mit dabei, Bibelwissenschaftler. Es wird auch die Zielgruppe mit eingebunden, die immer wieder Videos bekommt und Rückmeldungen gibt. So wird die Zielgruppe schon in den Übersetzungsprozess mit eingebunden und sichergestellt, dass es nachher eine verständliche Übersetzung wird.
Das Interview führte Dagmar Peters.