DOMRADIO.DE: Gebärdensprache wirkt für einen Außenstehenden manchmal etwas hart oder überbetont. Wie funktioniert Gebärdensprache?
Thorsten Rose (Selbständiger Gebärdendolmetscher): Gebärdensprache funktioniert hauptsächlich über die Mimik und über die Hände. Deswegen kann es durchaus sein, dass sie manchmal ein bisschen grob rüberkommt. Alles das, was gesprochen wird, hört man nun mal nicht und muss anders wahrgenommen werden.
Da man das über die Augen und nicht übers Gehör wahrnimmt, muss auch der Inhalt hauptsächlich über die Mimik transportiert werden.
DOMRADIO.DE: Wenn Dolmetschende auf der Bühne stehen, wird zwischendurch getauscht, habe ich mal beobachtet. Wie lange hält man das am Stück durch?
Rose: Ja, es wird gewechselt. Alles ab einer Stunde aufwärts wird im Regelfall gewechselt. Bis zu einer Stunde kann man das ganz gut alleine bewältigen. Danach lässt einfach die Konzentration nach. Da spielt es auch keine Rolle, wie gut man ist oder wie lange man diesen Job schon macht. Die kognitive Leistung lässt einfach nach einer Stunde nach. Deswegen sagt man, ab eine Stunde aufwärts ist man zu zweit.
DOMRADIO.DE: In Gottesdiensten kommt es sehr häufig zu Begriffen, die wir untereinander "kirchisch" nennen. Mit Wörtern wie Kyrie, Kafarnaum, Karfreitag. Wie bereitet sich ein Gebärdendolmetscher darauf vor?
Rose: Gottesdienste sind ein ganz spezieller Bereich des Dolmetschens. Es gibt tatsächlich ganze Workshops und Wochenendfortbildungen zum Thema kirchliches Gebärden. Von daher ist es wichtig, sich gerade auf diesen Bereich im Vorfeld sehr gut vorzubereiten.
Da gibt es unterschiedliche Gebärden, zum Beispiel alles um Karfreitag und Ostern herum. Da werden auch diese speziellen Gebärden entsprechend genutzt. Von daher ist gerade in dem Bereich eine sehr gute Vorbereitung notwendig.
DOMRADIO.DE: Ein Beispiel: wie geht der Emmaus-Jünger?
Rose: Die Jünger werden als Jünger um den Tisch gesetzt und so auch gebärdet.
DOMRADIO.DE: Und Emmaus wird mit den Lippen buchstabiert?
Rose: Genau, in dem Fall wird buchstabiert.
DOMRADIO.DE: In Gottesdiensten wird viel gesungen und das ist auch inhaltlich Bestandteil der Feier. Kann man denn auch Lieder übersetzen?
Rose: Ja, das funktioniert. Man kann Lieder übersetzen, auch das ist ein ganz spezieller Bereich des Dolmetschens. Das ist aber auf jeden Fall möglich.
DOMRADIO.DE: Muss man sich dazu im Takt mit bewegen?
Rose: Das kann man tun, um das Ganze etwas bildlicher darzustellen. Es ist nicht schlecht, die Hüften ein bisschen zu bewegen. Einfach nur still dastehen, ist eher nicht hilfreich.
DOMRADIO.DE: Wenn ich als Gehörloser die ganze Zeit auf den Dolmetschenden schaue, lenkt das nicht vom Gottesdienst oder vom Pfarrer ab? Geht da etwas vom direkten Draht verloren?
Rose: Nein, gar nicht. Gehörlose Menschen sind es gewohnt, mehr aus ihrem Umfeld wahrzunehmen, sprich: sie haben diesen 180-Grad-Blick, um zu sehen, was passiert ganz links und ganz rechts auf der Bühne. So nennen wir das ganz gerne. Das heißt, der Draht zum Pfarrer geht nicht verloren.
DOMRADIO.DE: In der Kirche gibt es diese Angebote nur bei großen Events wie bei Kirchentagen oder Konferenzen. Spezielle Gottesdienste mit Gebärdensprache sind nicht üblich. Ist das ein Fehler?
Rose: Ja, ich finde es auf jeden Fall einen Fehler. Gerade in den jetzigen Zeiten, wo man einen starken Rückgang von Kirchenbesuchern zu verzeichnen hat, sollte man mehr auf diese Dinge achten. Barrierefreiheit sollte generell in allen Bereichen da sein.
Deswegen ist das meines Erachtens nach ein Fehler, dass man Gottesdienste häufig ohne Begleitung von Dolmetschenden abhält.
Das Interview führte Tobias Fricke.