Immer wieder muss Reinhard Ader auf die Leiter steigen, um seinen riesigen Feigenbaum zu schneiden. "Unglaublich, er wächst ins Uferlose", sagt der 72-jährige Speyerer Künstler. Noch sind viele Früchte des Baumes grün, nur wenige haben sich violett eingefärbt. Spät reifen in diesem Jahr die Feigen an seinem "südländischen Baum", erzählt er. Auch die Früchte an seinem kleineren Pfälzer Feigenbaum brauchen noch Zeit für eine zweite Ernte. "Wenn es weiter warm bleibt, wird es bis Mitte Oktober vielleicht noch etwas", hofft er. Mit einem Netz muss er seine Früchte vor gefräßigen Vögeln schützen.
Von Juli bis weit in den Oktober hinein gut zu tun
Ader ist einer von zahlreichen privaten Feigenbaum-Besitzern in der Pfalz, die von Juli bis weit in den Oktober hinein gut zu tun haben. Dann haben die Südfrüchte in der sonnenverwöhnten Region im Südwesten ihren Reifegrad erreicht und die Feigenernte steht an in der Pfalz, der größten Feigen-Anbauregion Deutschlands.
Die genaue Zahl der Feigenbäume und die Erntemenge lassen sich nicht beziffern, sagt Werner Ollig, Leiter der Gartenakademie Rheinland-Pfalz in Neustadt an der Weinstraße. Rund 50.000 Feigenbäume - oft sind es eher hoch gewachsene Sträucher - gedeihen nach Schätzungen des Marketing-Vereins Pfalzwein in privaten Gärten oder auch am Rand der Weinberge. 100 bis 200 Früchte trägt ein ausgewachsener Baum, etwa 80.000 Kilogramm Feigen werden demnach jährlich geerntet.
"Pfälzer Feigenbörse"
Meist sind es Privatleute oder Winzer, die sich durch den Verkauf der leckeren Früchte mit dem süß-herben rosigen Fruchtfleisch nebenher ein paar Euro dazuverdienen. Auch Ader und seine Lebensgefährtin Margarete Stern können gar nicht alle Feigen aus ihrem Garten selbst essen. Frisch vom Baum und ab in den Mund - vielleicht zusammen mit einem Stück Parmaschinken - schmecken die Früchte am besten, sagt Ader. Bis zu 50 Kilogramm pflückt er im Verlauf eines guten Sommers von seinen beiden Feigenbäumen - und verkauft einen Großteil davon an Selbstabholer.
Wie viele Privatanbieter nutzt auch Ader die "Pfälzer Feigenbörse" - ein Onlineportal, über das Feigenanbauer vor allem in der Nähe der Deutschen Weinstraße in der Pfälzer Rheinebene, aber auch aus Rheinhessen und Baden ihre Ware anbieten. Feigenliebhaber aus nah und fern können diese vor Ort abholen oder sie sich gut verpackt zuschicken lassen.
Ein Blick in die Geschichte
Dass in der Pfalz nicht nur Wein, sondern auch Pfirsiche, Aprikosen und eben Feigen wachsen - auch daran sind die Römer schuld, die sie vor gut 2.000 Jahren in der Region heimisch machten. Ursprünglich bauten die Eroberer diese Früchte nur in den warmen, windgeschützten steinigen Flusstälern von Rhein oder Mosel an, erzählt Ollig. Seit etwas mehr als 100 Jahren gediehen Feigen auch in der Rheinebene der Pfalz und Rheinhessens. Dies sei ein Indiz für den Klimawandel.
Die Feige ist eine der ältesten Nutzpflanzen und stammt ursprünglich aus dem arabischen Raum. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass die Frucht seit mehr als 6.000 Jahren im gesamten Mittelmeerraum angebaut wird. Seither ist sie aus der dortigen Küche nicht mehr wegzudenken. In der Kulturgeschichte gilt die Feige auch als sinnliche Frucht - wegen ihrer Form, die an weibliche oder männliche Fortpflanzungsorgane erinnern mag.
Erste in der Bibel namentlich erwähnte Pflanze
In der Schöpfungsgeschichte der Bibel ist die Feige übrigens die erste namentlich erwähnte Pflanze: Adam und Eva, die nach dem Sündenfall nackt das Paradies verlassen müssen, bedecken mit Feigenblättern ihre Scham.
Feigen lieben Wärme und brauchen viel Wasser, sagt Gartenbau-Experte Ollig. Geschützt vor Wind und Frost an wärmeabstrahlenden Wänden fühlten sich Feigenbäume besonders wohl. Feigen seien mit ihren Vitaminen und Spurenelementen ähnlich gesund wie Äpfel. Skeptisch ist Ollig, ob sich die Pfalz zukünftig zu einer Feigenbaulandschaft entwickeln könnte. Dazu müssten erst die Produktionskapazitäten aufgebaut werden, was für Landwirte und Winzer kaum rentabel sei. Die Feigenernte 2021 falle wegen des eher kühlen Sommers "normal" aus, sagt er.
Verkauf bietet sich eher lokal an
Wenig Glück mit ihrer Feigenbestellung aus der Pfalz hatte bislang Ivonne Kostross aus Schlemmin in Mecklenburg-Vorpommern. Dort betreibt die Senfmüllerin gemeinsam mit ihrem Mann eine Senfmühle - und möchte ihren Kundinnen und Kunden zukünftig auch Feigensenf anbieten. Über die Feigenbörse im Internet bestellte sie testweise Ware bei einem regionalen Erzeuger - doch die kam nach mehr als 800 Kilometer langer Reise nach zwei Tagen auf dem Postweg eingedrückt und angeschimmelt bei ihr an.
Am liebsten verkaufen Reinhard Ader und seine Lebensgefährtin Margarete Stern aus Speyer ihre Feigen an der Haustür. Vier Euro nehmen sie pro Kilogramm. Und der Erlös aus der Ernte im heimischen Garten? "Damit kann man mal gut essen gehen", stimmt das Künstlerpaar überein.