DOMRADIO.DE: Während in der Ukraine aktuell der Krieg tobt, ist der Bosnien-Krieg seit knapp drei Jahrzehnten beendet. Trotzdem gibt es immer noch ethnische Spannungen und ungelöste Probleme im Land. Sie sagen, dass das Thema bei Ihnen heute eine ganz andere Bedeutung hat als in Deutschland. Leben Sie in Freiheit?
Bischof Petar Palić (Bischof von Mostar-Duvno und Apostolischer Administrator von Trebinje-Mrkan in Bosnien und Herzegowina): Bosnien und Herzegowina ist auf dem Papier ein freier und souveräner Staat, aber eigentlich sind wir bis heute noch ein Protektorat. Wir haben den Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen im Land, der bis heute über Gesetze entscheiden kann. Der Repräsentant hat weitreichende politische Macht, muss sich aber nur begrenzt rechtfertigen. Seine Aufgabe ist es, den Frieden zu bewahren.
Wenn die Leute, die dort leben, daran aber nicht selbst mitwirken würden, hätten wir ein größeres Problem. Man kann also nicht sagen, dass das Volk in Bosnien und Herzegowina heute zu hundert Prozent in selbst verantworteter Freiheit lebt.
DOMRADIO.DE: Sie sind Bischof in Mostar, einer Stadt, die im Bosnienkrieg auch aufgrund der religiösen Spannungen zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslimen sehr gelitten hat. Wie sieht heute das interreligiöse Miteinander bei Ihnen aus?
Palić: Wir hatten vor kurzem ein interreligiöses Treffen mit einem Diplomaten in unserer Stadt, der muslimische Mufti von Mostar, der orthodoxe Bischof und ich. Als der nach dem interreligiösen Dialog gefragt hat, sagte ich: Wir in Mostar sind die einzige Stadt im Land, die einen richtigen Dialog führen kann. Mit wem wollen Sie in Sarajevo Dialog führen?
Ja, es gibt einen katholischen Erzbischof und einen orthodoxen Bischof. Aber in Sarajewo leben heute über 95 Prozent Muslime. Mit wem wollen sie in Banja Luka Dialog führen, wenn es dort über 95 Prozent orthodoxe Serben gibt?
Wir in Mostar sind die einzige Stadt in Bosnien und Herzegowina, die heute interkulturell und interreligiös funktioniert. Wir sind ungefähr 48 Prozent katholische Kroaten, 44 Prozent muslimische Bosniaken und ungefähr 3 bis 5 Prozent orthodoxe Serben.
Wir haben gelegentlich Treffen mit dem Erzbischof von Sarajewo. Am Dienstag habe ich ein Treffen mit ihm. Auch der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije Perić besucht Mostar am nächsten Wochenende. Mit ihm planen wir auch ein Treffen.
Mostar hat damals im Krieg sehr gelitten, was bei den Menschen bis heute noch zu merken ist. Die Wunden des Krieges sind noch immer da. Da sehe ich meine größte Rolle, heute noch immer zu kämpfen, dass diese Wunden verheilen.
DOMRADIO.DE: Ihr Krieg ist nun knapp 30 Jahre her. In der Ukraine tobt im Moment ein Krieg, bei dem die ethnischen Zugehörigkeiten auch eine Rolle spielen. Was wird aus Ihrer Erfahrung auf das Land zukommen? Wird dort eine Versöhnung der Volksgruppen nach dem Krieg möglich sein?
Palić: Wo die politische Situation nicht klar ist, spielen die ethnischen Konflikte eine große Rolle. Bei uns ist das genau so. Das Dayton-Abkommen hat 1995 seine positiven, aber auch seine negativen Seiten gehabt. Positive Seiten sind, dass der Krieg beendet werden konnte. Aber die negative Seite ist die, dass das Land durch eine Macht von außen geteilt und gespalten worden ist.
Wenn Sie einer Bevölkerung, die 35 Prozent der Bürger ausmacht, 49 Prozent der Fläche geben und 51 Prozent für den Rest übrig bleibt, dann ist das ein Unrecht.
Natürlich müssen wir uns auch selber um ein friedliches Miteinander bemühen. Das müssen die Menschen in der Ukraine genauso. Es gibt die Idee, die Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten zu machen. Ich hoffe, dass das kein billiger Trost für dieses Land ist. Ich hoffe, dass die EU das ukrainische Volk auch in Zukunft weiter unterstützen wird.
DOMRADIO.DE: Sie sind im Moment zu Gast beim beim Internationalen Kongress Renovabis in München. Welche Rolle spielt für Sie dieser Austausch mit Europa?
Palić: Ich bin sehr dankbar dafür, was Renovabis und andere Hilfsorganisationen für unsere Länder, nicht nur für Bosnien und Herzegowina, tun. Hier sind Repräsentanten, Partner aus vielen Ländern vor Ort. Was Renovabis, die Deutsche Bischofskonferenz und die deutschen Katholiken für uns tun, ist eine große Unterstützung.
Dabei geht es nicht nur um die materielle Hilfe, obwohl sie für uns auch ganz wichtig ist, weil wir in einem Staat leben, wo wir um den Platz der Kirche noch kämpfen müssen. Aber wenn man weiß, dass man eine solche Unterstützung von unseren Freunden, von unseren Katholiken hat, dann fühlen wir uns nicht vergessen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.