DOMRADIO.DE: Die Katholische Kirche hat sich deutlich gegen den russischen Angriffskrieg positioniert. Patriarch Kyrill kritisiert mit keinem Wort den Kreml, sondern unterstützt ihn sogar in Predigten. Ist denn vor diesem Hintergrund überhaupt noch so etwas wie ein ökumenischer Dialog möglich?
Bischof Gerhard Feige (Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz und Bischof von Magdeburg): Es gibt verschiedene Ebenen des Dialogs, einmal den internationalen, offiziellen römisch-katholisch-orthodoxen Dialog. Da ist es aber so, dass seit 2018 das Moskauer Patriarchat aufgrund innerorthodoxer Spannungen und Konflikte nicht mehr vertreten ist. Dann gibt es natürlich Gespräche zwischen Moskau und Rom. Wie diese Gespräche laufen, kann ich nicht sagen. Sie können theologischer, aber auch vor allem diplomatischer Art sein.
Und dann hatten wir von Seiten der Bischofskonferenz seit 2009 wieder, so etwa alle zwei Jahre, Gespräche mit dem Moskauer Patriarchat über sozialethische Themen. Das letzte Gespräch war im Jahr 2018. Coronabedingt konnte bisher kein weiteres stattfinden. In der kommenden Woche war das nächste eigentlich angesetzt. Aber wir können aufgrund dieser Situation, wie sie ist, uns das nicht vorstellen, jetzt im Gespräch zu sein. Wir haben dieses Gespräch abgesagt und ausgesetzt.
DOMRADIO.DE: Wie kann man denn in dieser Situation den Gesprächsfaden in Deutschland mit den russisch-orthodoxen Vertretern aufrechtzuerhalten, ohne jetzt in Gefahr zu geraten, dass man nicht klar genug Aggressor und Opfer benennt?
Feige: In Deutschland gibt es durchaus Kontakte. Ganz konkret kann ich sagen, dass die russisch-orthodoxe Gemeinde in Magdeburg ihre Osternacht in diesem Jahr in unserer Kathedrale gefeiert hat. Und da waren wir im Vorfeld auch miteinander im Gespräch. Da ist natürlich die Linie hier in Deutschland, dass sich die russisch-orthodoxen Gemeinden weitgehend aus der Politik heraushalten. Jedenfalls ist das die offizielle Linie. Sie sehen sich nur für die Seelsorge zuständig und betonen auch, dass Ukrainerinnen und Ukrainer, auch zu einem Teil in diese russischen Gemeinden mitkommen, um mitzufeiern, um das Evangelium zu hören und die Liturgie zu begehen.
DOMRADIO.DE: In Deutschland leben russisch-orthodoxe Christen, die als Ukrainerinnen und Ukrainer dieser Kirche nicht mehr angehören wollen, wie das ja zum Beispiel die Unabhängigkeitserklärung des ukrainischen Zweigs der russisch-orthodoxen Kirche am Wochenende zeigt. Sehen Sie denn als katholischer Bischof eine Möglichkeit zu vermitteln oder sind das Angelegenheiten, zu denen man besser schweigt, weil es innerorthodoxe Angelegenheiten sind?
Feige: Mich bewegt das natürlich sehr, aber die Situation ist sehr diffus. Es gibt ja sowohl in Russland als auch außerhalb Russlands Russen, die auf der Linie Putins sind. Andere setzen sich vehement dagegen ab, auch gegenüber dem Patriarchen Kyrill. Und bei den Ukrainerinnen und Ukrainern halten manche nach wie vor zum Moskauer Patriarchat, andere distanzieren sich massiv. Wie will man in dieser Gemengelage vermitteln? Das ist äußerst schwierig. Da weiß man gar nicht, wo man ansetzen sollte.
DOMRADIO.DE: In den kommenden Jahren sollen 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Ausrüstung der Bundeswehr fließen. Für viele in der katholischen Kirche sind Waffenlieferungen ethisch vertretbar. Sehen Sie denn diese Position als Belastung im Gespräch mit der russisch-orthodoxen Kirche, da es ja um Waffen gegen russische Soldaten geht, die in der Regel dieser Konfession angehören?
Feige: Da steht die Frage des Krieges insgesamt an und da muss man sagen, dass auch die orthodoxen Positionen nicht rein pazifistisch sind. Also es gibt eine Sozialkonzeption der russischen-orthodoxen Kirche von 2000, die es dann nochmal 2008 entfaltet worden, die es vorsieht, dass man Gewalt anwenden kann als letztes Mittel.
DOMRADIO.DE: Die ungarische Regierung wehrt sich gegen Sanktionen gegen den Patriarchen Kyrill. Die EU hat deswegen am Donnerstag diese Sanktionen nicht verabschiedet. Aber wäre das nicht ein starkes politisches Zeichen gewesen, dass auch ein Kirchenmann nicht folgenlos Propaganda für Putin machen darf?
Feige: Sicher wäre das ein Zeichen gewesen, aber man sieht eben auch, wie verquickt Politik und Religion in manchen Fällen ist. Und es ist bedauerlich, dass sich solche Entwicklungen durchaus vollziehen können.
Das Interview führte Heike Sicconi.