Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ist in der katholischen Deutschen Bischofskonferenz nicht nur für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat zuständig. Darüber hinaus leitet er als "Sozialbischof" die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen. In beiden Funktionen beschäftigt er sich mit Fragen, die auch beim G20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg eine Rolle spielen.
Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Bischof Overbeck, was erwarten Sie vom G20-Gipfel?
Overbeck: Ich fürchte, allzu große Erwartungen verbieten sich. Der Gipfel findet unter schwierigen Umständen statt. Die USA haben unter Präsident Trump einen neuen Standpunkt in der Handels- und Klimapolitik, möglicherweise auch im Hinblick auf ihre globale sicherheitspolitische Verantwortung eingenommen. Eine gemeinsame Linie des Westens ist daher nicht zu erkennen. Hinzu kommt das Aufblühen autoritärer Staatsmodelle in Ländern wie Russland und der Türkei.
KNA: Die Kirchen wollen das Treffen kritisch begleiten - ohne es grundsätzlich infrage zu stellen. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte?
Overbeck: Ich würde nicht so sehr von Kritik sprechen, eher von Skepsis. Die aktuelle Weltlage ist wenig ermutigend. Man kann sie anhand der Trias des "Konziliaren Prozesses" beschreiben: Gerechtigkeit: Nach wie vor ist die Armut weit verbreitet, viele Länder drohen wirtschaftlich abgehängt zu werden oder sind es längst. Frieden: Der Nahe und Mittlere Osten ist in einem Zustand gewalttätigen Aufruhrs, und der von dort ausgehende Terrorismus überzieht die ganze Welt. Bewahrung der Schöpfung: Die globale Erwärmung des Klimas schreitet voran, und es muss bezweifelt werden, dass die Gegenstrategien energisch und zügig genug verfolgt werden. Vom Gipfel wäre also zu erhoffen, dass er konkrete Maßnahmen zur Lösung dieser Probleme auf den Weg bringt. Angesichts der augenblicklichen Verfassung der internationalen Gemeinschaft ist hier aber große Skepsis angebracht.
KNA: Unter anderem sollen die UN-Nachhaltigkeitsziele und das Pariser Klimaabkommen Maßstab für die G20-Gespräche sein. Dabei wird Deutschland selbst wohl viele Ziele in den kommenden Jahren nicht erreichen. Ist das nicht zynisch?
Overbeck: Auch wenn Deutschland einen spürbaren Beitrag zu einer guten Entwicklung der Weltgemeinschaft leistet, so ist doch richtig, dass wir - wie jedes Land - noch viele schwierige Hausaufgaben vor uns haben. Das gilt vor allem für die Klimapolitik. Bei uns ist zwar die Auffassung weit verbreitet, dass es sich um eine der großen Menschheitsaufgaben handelt, der CO2-Ausstoß wird aber nicht in notwendigem Maße reduziert. Hier ist mehr von uns gefordert, als wir derzeit leisten.
KNA: Alle schauen auf US-Präsident Donald Trump. Was erwarten Sie von ihm?
Overbeck: Frieden und Sicherheit, gerechter Welthandel, Klimaschutz: Die Stabilität der internationalen Arrangements hängt an der Verlässlichkeit und der Kooperationsbereitschaft der Weltmacht USA. Man kann nur hoffen, dass die neue Regierung die von ihr selbst hervorgerufenen weltweiten Zweifel bald zerstreut. Viele Probleme lassen sich selbst dann kaum lösen, wenn Amerika konstruktiv und generös agiert. Ohne eine solche Grundhaltung aber sind viele Schwierigkeiten praktisch gar nicht zu meistern. Wir würden dann auf eine Welt zusteuern, die noch ungerechter und unfriedlicher ist als die heutige.
KNA: Trump will das Klimaabkommen aufkündigen und die Entwicklungshilfe kürzen. Was würden Sie ihm sagen?
Overbeck: Dass es auch im langfristigen Interesse der USA liegt, wenn dramatische Klimaveränderungen vermieden werden und die soziale Lage in armen Ländern sich verbessert. Es ist legitim, dass ein Land eigene Interessen vertritt. Allerdings sollte dies mit Blick auf die globalen Erfordernisse und unter Berücksichtigung langfristiger Trends erfolgen. Ansonsten landet man bei kleinkariertem Egoismus. Ein Land mit so vielen Möglichkeiten ist dazu verpflichtet, nicht nur und zuerst an sich selbst zu denken, sondern immer auch solidarisch die anderen im Blick zu halten.
KNA: Neben Trump sind auch andere "problematische" Regierungschefs an Bord wie Putin, Erdogan, Xi ... Trauen Sie ihnen zu, abseits nationaler Eigeninteressen die Welt als Ganzes voranzubringen und auch die Interessen der ärmeren Länder zu berücksichtigen?
Overbeck: Für die genannten Politiker und ihre Länder gilt das Gleiche wie für alle anderen: Es kommt in der Politik darauf an, die eigenen Interessen in kluger Weise mit dem Gemeinwohl - in diesem Fall mit dem Weltgemeinwohl - zu verbinden. Mehr als je zuvor sind heute alle Staaten aufeinander angewiesen. Dies sollte ein wichtiger Anreiz sein für eine Politik der Zusammenarbeit.
KNA: Weltweit sind mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele der G20-Länder nehmen jedoch keine oder sehr wenige Flüchtlinge auf. Was muss sich hier ändern?
Overbeck: Man muss die Lage differenziert betrachten: In Deutschland ist das Asylrecht ein zentraler Anker des Flüchtlingsschutzes. Asyl kann allerdings nur beantragt werden, wenn die Schutzsuchenden es aus eigener Kraft hierher schaffen. Andere Länder nehmen im Rahmen des sogenannten Resettlement größere Kontingente an Schutzbedürftigen auf. Es trifft aber zu: Insgesamt brauchen wir einen besseren internationalen Lastenausgleich bei der Aufnahme von Menschen, die aus politischen Gründen oder angesichts von Bürgerkriegen ihre Heimat verlassen müssen. Aber auch hier ist Skepsis gegenüber hohen Erwartungen geboten. Bis auf weiteres wird es wohl dabei bleiben, dass jedes Land an die völkerrechtlichen Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden ist und im Übrigen von allen ein gewisses Maß an Verantwortungsbereitschaft und Großzügigkeit gefordert ist.
KNA: Die G20 möchten mehr private und öffentliche Investitionen in Afrika anregen. Nichtregierungsorganisationen sorgen sich um Sozial- und Umweltstandards. Teilen Sie diese Bedenken?
Overbeck: Mehr ausländische Investitionen sind für Afrika von großer Bedeutung. Nur so können die Länder Anschluss finden an wohlstandsgenerierende Entwicklungen des Weltmarktes. Eine faire Wirtschaftsordnung aber setzt Sozial- und Umweltstandards voraus.
Diese sind bereits heute Teil internationaler Abkommen und müssen weiterentwickelt werden. Und vor allem muss die Beachtung dieser Standards durch Kontrollen und juristische Verfahren verbessert werden. Hier bleibt auch die Wachsamkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen gefordert.
KNA: Wann ist der Gipfel ein Erfolg?
Overbeck: Wie angedeutet: Das internationale System, das die G20-Länder repräsentieren, erlebt eine Phase der Unsicherheit, vielleicht auch der Konfusion. Da wäre schon viel gewonnen, wenn vom Gipfel das Signal ausginge, dass sich die großen politischen und wirtschaftlichen Mächte ernsthaft auf den Weg machen wollen, die zentralen Probleme der heutigen Welt mit vereinten Anstrengungen zu lösen.