DOMRADIO.DE: Wie haben die Menschen bei Ihnen auf den russischen Raketenangriff am Palmsonntag in Sumy reagiert?

Bischof Stanislaw Schyrokoradjuk (römisch-katholischer Bischof von Odessa-Simferopol): Ja, für uns war das nicht nur Sumy. Einige Tage früher waren auch schon andere Städte betroffen, Kramatorsk zum Beispiel. Außerdem werden regelmäßig in Dnipro, Winnyzja und Charkiw Menschen getötet. Leider sind wir die Toten in dieser Situation schon gewohnt. Wir rechnen schon mit vielen Toten. Es sterben mit jedem Angriff dreißig, fünfzig oder hundert Menschen. Das dauert schon drei Jahre. Drei Jahre, furchtbar.
DOMRADIO.DE: Und damit sind nur die Jahre seit der russischen Vollinvasion eingerechnet, nicht die Zeit seit der russischen Annexion der Krim.
Schyrokoradjuk: Ja, genau. Der Krieg hat für uns schon 2014 begonnen. Zuerst die Krim, dann der Donbas. Und es ist immer weitergegangen, weil es keine klare Reaktion des Westens gab. Deshalb ging Putin weiter und heute haben wir diesen schrecklichen Krieg. Aber unsere Vorbereitungen auf das Osterfest gehen normal weiter. Wir bereiten uns ökumenisch mit den anderen Konfessionen auf das Osterfest vor, zum Beispiel mit den Orthodoxen und den Protestanten. So haben wir auch am Palmsonntag zusammen Gottesdienst gefeiert und ein ökumenisches Gebiet in der Innenstadt von Odessa veranstaltet.
DOMRADIO.DE: In diesem Jahr feiern Christen aller Konfessionen das 1700-jährige Jubiläum des ersten Konzils von Nicäa und auch das Osterfest fällt in diesem Jahr auf denselben Sonntag. Der ökumenische Gedanke spielt auch bei Ihnen, obwohl es das dritte Osterfest im russischen Angriffskrieg ist, durchaus eine Rolle, wenn Sie gemeinsam Ostern feiern.
Schyrokoradjuk: Ja, eine große Rolle und auch eine große Freude. Wir sind jetzt endlich zusammen. Endlich! Wir haben zusammen Weihnachten gefeiert und jetzt feiern wir zusammen das Osterfest. Das ist wichtig für uns, weil das Evangelium auch im Krieg weiter verkündet werden muss, egal ob in friedlichen Zeiten oder in Kriegszeit. Wir gehen weiter mit Christus.
DOMRADIO.DE: Spielt das auch eine Rolle in der Gesellschaft und in die Politik hinein? Gerade auch was die Situation im Krieg anbelangt. Eint das die Bevölkerung?
Schyrokoradjuk: Ja, doch. Das ist wieder ein Punkt, an dem die Menschen in der Ukraine einen Zusammenhalt spüren. Dieses Gefühl stärkt uns, weil dieser Zusammenhalt uns Hoffnung auf die Einheit der Ukraine gibt. Das ist wichtig für uns. Und dieser Zusammenhalt stärkt dann auch wieder unseren Glauben. Wir hoffen zum Osterfest auf Frieden für die Ukraine.
DOMRADIO.DE: Rechnen Sie damit, dass durch diesen Raketenangriff am Palmsonntag weniger Menschen in die bevorstehenden Gottesdienste der Kar- und Ostertage kommen, weil die Menschen Angst vor weiteren Raketenangriffen haben?
Schyrokoradjuk: Umgekehrt, es kommen viel, viel mehr Leute in die Kirche. An Palmsonntag haben wir sechs Gottesdienste in der Kathedrale gefeiert und jede Messe war voll von Menschen, die keine Angst haben. Wir haben uns schon daran gewöhnt und es ist unsere Realität. Wir leben in dieser schrecklichen Kriegszeit und unsere Bevölkerung geht weiterhin ganz normal in die Kirche. Junge und Alte, Singles und Familien mit Kindern.
DOMRADIO.DE: Wie bereiten Sie sich persönlich als Bischof von Odessa-Simferopol auf die bevorstehenden Kar- und Ostertage vor?
Schyrokoradjuk: Wie immer: Es geht alles normal weiter. Ich bereite mich auf die Osternacht am Karsamstag Abend vor. Da kommen auch die anderen Konfessionen, die Orthodoxen und Protestanten zu uns in die Kathedrale und wir feiern den Hauptgottesdienst in der katholischen Kirche.
DOMRADIO.DE: In Deutschland wählen wir nach Ostern einen neuen Bundeskanzler und eine neue Regierung. Was erhoffen Sie sich davon für die Ukraine?
Schyrokoradjuk: Ich muss zuerst Danke sagen. Wir haben viele Hilfen aus Deutschland erhalten; diese Hilfsgüter sind ziemlich breit verteilt und sinnvoll. Mit der neuen Regierung hoffen wir auf weitere, auf mehr und auch auf stärkere Hilfen. Ich hoffe das persönlich, aber auch das ukrainische Volk hat diese Hoffnung.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.