DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat das Gebet für den Frieden in der Ukraine?
Dr. Heiner Wilmer (Bischof von Hildesheim und Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax): Das Gebet für den Frieden in der Ukraine ist für uns ein Schlüssel, auch für die Kommission Justitia et Pax in Deutschland. Wir bringen unsere Trauer, unsere Wut, unsere Angst, auch unsere Scham über Schuld vor Gott. Wir wollen uns solidarisch zeigen mit den vielen Menschen in der Ukraine, mit den Familien.
Einige von denen kennen wir. Viele sind geflüchtet. Es sind auch leider schon viele verstorben und getötet worden in der Ukraine. Ukrainische Soldatinnen und Soldaten, Zivilbevölkerung, aber natürlich auch junge russische Soldaten. All die schließen wir in unser Gebet. Es geht darum, dass nicht der Krieg die erste Vokabel ist, sondern ein Friede. Und zwar ein gerechter Friede.
DOMRADIO.DE: Das Gebet ist das eine. Justitia et Pax hat sich auch für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Was hat Sie dazu bewogen, das so klar zu tun?
Wilmer: Waffenlieferungen an die Ukraine sind für uns ein moralisches Dilemma. Warum? Aus unserer christlichen Tradition gehört die Selbstverteidigung zum natürlichen Recht eines Menschen. Wenn der Einzelne angegriffen wird, wird ein Gemeinwesen angegriffen oder ein Volk.
Dann ist es die Pflicht der Verantwortlichen, für die Verteidigung der Menschen zu sorgen. Und in diesen Rahmen gehören dann auch Instrumente, Waffen der Verteidigung. Allerdings gilt es hier, Maß zu halten. Es muss klug sein, und die Waffenlieferungen müssen besonnen sein. Es wäre eine Katastrophe, fürchterlich, wenn wir in eine Spirale der Gewalt kämen unter immer schlimmeren und größeren Waffen.
DOMRADIO.DE: Waffenlieferungen sind ein Dilemma. Das wird auch sehr umstritten diskutiert in den beiden Kirchen, auch in der evangelischen Kirche. Margot Käßmann war heute Morgen bei DOMRADIO.DE zu Gast und hat sich gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. Sie sagte: "Wenn wir die christliche Botschaft ernst nehmen, wenn wir uns unter das Kreuz stellen wollen und müssen, wenn wir Feindesliebe ernst nehmen, dann sind Waffenlieferungen für uns als Christen nicht möglich. Es sei denn, dieses christliche Menschenbild ist ein total verklärtes Menschenbild."
Wilmer: Ich hatte ja gesagt, Waffenlieferungen sind ein Dilemma. Es ist ein uralter Konflikt in der katholischen Morallehre, dass es Situationen geben kann, in denen wir entscheiden müssen. So oder so, wie wir uns entscheiden, entscheiden wir uns für ein Übel. Und hier gilt es abzuwägen, dass wir das größere Übel vermeiden und vielleicht zu einem kleineren Übel Ja sagen.
DOMRADIO.DE: Und das Gebot der Feindesliebe? Die Bergpredigt? Ist das ein absolut verklärtes Menschenbild, das wir nicht ernst nehmen müssen?
Wilmer: Nein, die Feindesliebe ist ein reales Gebot, nicht ein Gebot für Utopisten. Ganz im Gegenteil. Jesus – ich bin und wir von der deutschen Kommission Justitia et Pax sind ganz in seiner Spur – hat in der Bergpredigt damit gemeint: Wenn hinter dem Gebot der Feindesliebe die Erkenntnis steht, dass, wenn wir in eine Spirale der Gewalt kommen, in eine Spirale, in der Hass auf Hass folgt und Rache auf Rache, wird es immer schlimmer. Jemand muss anfangen zurückzutreten. Jemand muss auch anfangen, Nackenschläge einzustecken.
DOMRADIO.DE: Es muss ja irgendwie weitergehen. Es muss eine Exitstrategie geben. Welche Rolle können da die Kirchen spielen?
Wilmer: Aus meiner Sicht können die Kirchen hier mehrere Rollen spielen. Einmal sind die Kirchen Gemeinschaften, die für große Räume sorgen, für Trost. Räume, in denen Menschen Zuflucht und Hoffnung suchen können, ihre Wut, ihre Trauer und auch ihre Bitte um Frieden vor Gott bringen können. Nicht alleine, sondern gemeinsam. Dann sind Kirchen die großen Brücken zu den uralten Texten, die schon vor Jahrhunderten, ja vor Jahrtausenden in der großen jüdisch-christlichen Tradition Menschen Mut gemacht haben nicht zu verzweifeln.
Mut gemacht haben, zum Frieden, auch mal die andere Wange hinzuhalten. Und natürlich sind Kirchen große Gemeinschaften über nationale Grenzen hinaus. Ich rede jetzt in meiner schlichten Rolle als Vertreter der katholischen Kirche. Die katholische Kirche ist eine Universalkirche, vertreten in fast allen Ländern der Welt, auf allen Kontinenten. Und hier gilt es, dass wir das internationale Argument mit hineinbringen, dass wir uns als Weltgemeinschaft verstehen und nur gemeinsam in dieser Welt durch die Fluten der Zeit kommen. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland nur an uns Deutsche denken oder in Europa nur an uns Europäer. Sondern gerettet werden wir nur dann, wenn wir an die Welt denken.
DOMRADIO.DE: Ein Jahr Krieg in der Ukraine. Wie geht es nun weiter? Die Situation scheint ziemlich ausweglos. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Wilmer: In die Zukunft blicke ich persönlich mit großer Sorge. Es erfüllt mich mit großer Sorge, wie die Spirale von Gewalt zunimmt. Was mich tröstet ist, dass der ukrainische Präsident nicht in eine Kriegstreiber-Propaganda verfällt. Und ich hoffe sehr darauf, dass wir dort zusammenkommen und es müssen diplomatische Verhandlungen geschehen. Wir sind auch als Kommission Justitia et Pax unbedingt dafür, dass wir noch mehr auf diplomatische Verhandlungen Druck machen. Die Großen der Welt haben sich noch stärker zusammenzusetzen.
Das Interview führte Johannes Schröer.