"Wir waren überrascht, dass es bislang keine umfangreiche Studie gibt, die dezidiert Menschen befragt, die aus der Kirche austreten", sagt Thomas Rünker vom Bistum Essen. Gemeinsam mit Regina Laudage-Kleeberg und Markus Etscheid-Stams ist er Mitherausgeber der Kirchenaustrittsstudie, die im Herder Verlag unter dem Titel "Kirchenaustritt – oder nicht? Wie sich Kirche verändern muss" erschienen ist. Im DOMRADIO.DE Interview fassen Rünker und Etscheid-Stams die Ergebnisse der Umfragen zusammen.
Entfremdung und Enttäuschung
"Die Kirchensteuer ist nur ein Auslöser, der zu einem Kirchenaustritt führen kann", erklärt Etscheid-Stams. Eine viel größere Bedeutung habe die Entfremdung von der Kirche. Wenn dann noch eine enttäuschende Erfahrung in der konkreten Begegnung mit Kirche – zum Beispiel bei einer Beerdigung mit einem wenig berührenden Gottesdienst – hinzukomme, dann führe das zum Austritt.
"Die großen überregionalen Skandale wie der Finanzskandal in Limburg oder die Missbrauchsskandale beeinflussen die Menschen viel weniger als die enttäuschende Erfahrung mit Kirche im Alltag, wenn es um einen Austritt geht", sagt Etscheid-Stams.
Unter den 3.000 für die Studie befragten Katholiken waren 450, die aus der Kirche ausgetreten sind. Viele von ihnen waren dazu bereit, in umfangreichen Interviews über ihre Motive zu reden.
Nicht mit der Jesus-Tür ins Haus fallen
Die Ergebnisse der Studie nehmen vorweg, was jetzt auch der Publizist Erik Flügge in seinem Buch "Eine Kirche für viele – statt heiligem Rest" folgert: Nicht die großen kirchenpolitischen Streitigkeiten sind es, die die Menschen so sehr verärgern, dass sie aus der Kirche austreten, sondern viel mehr die zunehmende Entfremdung und dann auch Enttäuschung in der punktuellen Begegnung mit Kirche vor Ort. "Wo erreichen wir die 90 Prozent unserer Mitglieder, die nicht mehr die Gottesdienste besuchen?", fragt Rünker.
Statt zur Kirche gehen die Menschen in Yoga-Kurse, Fitness-Center oder Ayurveda-Seminare. Deshalb empfehlen Rünker und Etscheid-Stams einen genauen Blick darauf, wie man die Menschen erreicht, die Kirchensteuern bezahlen, aber den Service der Kirche nicht nutzen. Im Bistum Essen gibt es da zum Beispiel das Mitgliedermagazin "Bene", das zeitgemäß für die Angebote der Kirche wirbt, ohne gleich mit der Jesus-Tür ins Haus zu fallen.
Qualität der Seelsorge verbessern
"Es gibt drei Handlungsfelder, die wir am Ende ausmachen", fasst Etscheid-Stams die Ergebnisse des Essener Forschungsprojekts zusammen. "Erstens: Die Qualität der Seelsorge muss verbessert werden. Besonders bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Wie wird Kirche hier als Dienstleister wahrgenommen? Zweitens: Es muss mehr Augenmerk auf Mitgliedermanagement gelegt werden. Wie kann Kirche hier neu mit ihren vielen Mitgliedern in Beziehung treten? Drittens: Die Pflege von Image und Identität. Hier geht es um Fragen von Erkennbarkeit und Modernität von Kirche".
Thomas Rünker ergänzt, dass Kirche sich dringend um die Altersgruppe der 25- bis 35jährigen kümmern müsse. "Das ist die Gruppe, die sich am stärksten von der Kirche abwendet und austritt", sagt er. "Das ist auch die Gruppe, die Kirche auch aus monetären Gründen, als Kirchensteuerzahler dringend benötigt".