domradio.de: Ist das ein aktives Zusammenrücken oder geht es darum, den sinkenden Gottesdienstbesucherzahlen und den Folgen der Sparanstrengungen der Kirchen im Ruhrgebiet zu begegnen?
Volker Meißner (Referent für Ökumene im Bistum Essen): Ich glaube, es ist schon ein inhaltlich begründetes, aktives Zusammenrücken, das aber natürlich vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in unseren beiden großen Kirchen sehr viel Sinn macht. Beide Kirchen müssen neue Wege mit ihren Angeboten finden, die Menschen zu erreichen.
domradio.de: Was heißt es denn in diesem Zusammenhang, Kirchen zusammen zu nutzen? Nutzt man die dann gleichzeitig für Gottesdienste und Veranstaltungen oder eher nacheinander?
Meißner: Wenn wir von der "Ökumene unter einem Dach" sprechen, dann haben wir ein Bild vor Augen. Im Prinzip denken wir an evangelische und die katholische Gemeinden, die nicht mehr genug Mittel haben, um ihre eigene Kirche zu unterhalten. Folglich denken wir darüber nach, ein Kirchengebäude gemeinsam zu unterhalten und einen gemeinsamen Gottesdienstplan zu erstellen.
In dem sollte dann geregelt sein, dass sowohl die katholische Messe als auch der evangelische Gottesdienst am Sonntag und an Feiertagen stattfinden können. Aber natürlich wird an solchen Orten auch ein guter Platz sein, um an passenden Tagen ökumenische Gottesdienste zu feiern.
domradio.de: Wie soll denn die Zusammenarbeit zwischen evangelischer und katholischer Kirche in Ihrer Region aussehen? Gibt es schon konkrete Projekte?
Meißner: Es gibt auch heute schon genügend Beispiele. In letzter Zeit hat sich am stärksten die Zusammenarbeit in der Flüchtlingshilfe entwickelt. Wir haben in dem Gottesdienst, den wir gestern hier in Essen gefeiert haben, auch Spenden für eine ökumenische Initiative "Wir sind da" in Oberhausen gesammelt. Diese Initiative hat von Beginn an von beiden Kirchen Unterstützung erfahren und arbeitet ökumenisch zusammen. Wir haben aber auch Initiativen im Sinne von Mittagstischen, von Tafeln oder diakonischen Angeboten sowie ökumenischen Hospizgruppen oder die ökumenischen Telefonseelsorgen. Es gibt in Oberhausen das Kirchenzentrum am Centro, was ein ökumenisches Projekt ist.
Wir haben also ökumenische Projekte und möchten jetzt ein deutliches Signal setzen, dass das einerseits schon gut bewährt stattfindet und andererseits wollen wir noch mehr in die Breite gehen. Die Gemeinden wollen grundsätzlich überlegen, welche ihrer Angebote sie ökumenisch gemeinsam machen können. Es gibt einen Perspektivwechsel dahin, erst zu überlegen, was man gemeinsam machen kann. Es geht aber auch darum, zu identifizieren, wo uns noch etwas trennt, so dass man an diesen Stellen nicht gemeinsam arbeiten kann.
domradio.de: Es gab gestern ein gemeinsames Sündenbekenntnis bei der Unterzeichnung des Aufrufs. Worum ging es dabei?
Meißner: Wir befinden uns ja im Jahr des Reformationsgedenkens 500 Jahre nach der Reformation und der Trennung der Kirchen. In der Aufarbeitung dieses Datums haben beide große Kirchen in Deutschland noch einmal etwas festgestellt. Und zwar, dass es im Verlauf dieser Trennungsgeschichte beiderseitig auch dadurch zu Schuld gekommen ist, dass man nicht vermieden hat, auseinanderzugehen. Beide Seiten haben auch dazu beigetragen, dass die Trennung der Kirchen über so viele Jahrhunderte Bestand hatte. Wir haben im Gottesdienst um Vergebung darum gebeten, dass wir nicht stärker für die Einheit eingetreten sind.
domradio.de: Konfessionelle Grenzen spielen im Alltag der Menschen heute kaum noch eine Rolle. An der Basis wird die Ökumene längst gelebt. Wie vermitteln sie eigentlich diese theologischen und kirchenrechtlichen Divergenzen den "ganz normalen" Christen an der Basis?
Meißner: Das spielt schon noch eine Rolle, vor allem bei der Frage der Eucharistiegemeinschaft. Wir müssen in dem Zusammenhang dafür werben, dass es auch den theologischen Dialog braucht. Die Trennungsgeschichte, die auch theologische Hintergründe hat, sollten wir aufarbeiten. Erst dann können wir wieder auf einem gemeinsamen Weg gehen.
Das Interview führte Heike Sicconi.