Bistum Würzburg ermittelt sexuelle Übergriffe bis 1946 zurück

Der schonungslose Blick in die Akten

Es geht um sexuelle Grenzverletzung, aber auch körperliche Misshandlung: Das Bistum Würzburg hat umfassend seine Personalakten von einer externen Kanzlei untersuchen lassen. Und dabei nicht nur auf die Priester geschaut.

Autor/in:
Christian Wölfel
Symbolbild Akten / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Akten / © Harald Oppitz ( KNA )

Ein Abt schreibt ans Bischöfliche Ordinariat: Es geht um einen Priester im Religionsunterricht. Der Geistliche sei bei einigen Schülern zu weit gegangen. Es geht um Streicheln, um Küsse, um einen Griff an die Genitalien. Heidi Frank, Mitarbeiterin der Rechtsanwaltskanzlei Hans-Jochen Schrepfer, erzählt diesen Fall als ein Beispiel für jene 47 Akten, in denen die Juristen Hinweise für sexuelle Übergriffe fanden. Im Auftrag des Bistums hatte Schrepfer alle Personalakten aus den Jahren 1946 bis 1999 untersucht.

Eine ähnliche Untersuchung gab es bisher in Bayern nur im Erzbistum München und Freising im Jahr 2010. Den Würzburger Prüfbericht hatte Bischof Franz Jung im Dezember 2018 persönlich als umfassende Aufarbeitung angekündigt. Er ist eine direkte Folge aus der kurz zuvor veröffentlichten Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz.

Bei dieser Studie wurde im Bistum Würzburg nur der Zeitraum zwischen 2000 bis 2015 untersucht, dazu auch vorherige Akten seit 1946 aus dem sogenannten Geheimarchiv. Damals wurden 62 des Missbrauchs beschuldigte Kleriker ermittelt.

Untersuchung auch auf Pastoral- und Gemeindereferenten ausgeweitet

In der jetzigen Untersuchung ging es nicht nur um Priester und Diakonen, sondern auch um Gemeinde- und Pastoralreferenten.

Auffälligkeiten fanden die Juristen aber ausschließlich bei Priestern. Und das betrifft nicht nur Hinweise auf sexuelle Übergriffe, sondern auch jene 29 möglichen Fälle grenzüberschreitenden Verhaltens ohne sexuellen Bezug. Mit dem Blick beispielsweise auf körperliche Züchtigungen geht Würzburg auch inhaltlich über die Missbrauchsstudie hinaus.

Bei weiteren 18 Akten blieb den Juristen zufolge völlig unklar, ob und was genau passiert sei. Erhoben wurden nicht nur eindeutig strafrechtlich relevante Indizien, sondern alles, was "von den Betroffenen als unangenehm" empfunden wurde, wie Schrepfer betont.

Doch was muss man sich unter den möglichen Vergehen in den insgesamt 94 auffälligen Akten vorstellen? Die Juristen nennen Beispiele von Oralverkehr oder von Knaben, die zu Boden geschlagen und dort zusammengetreten werden.

Auch der Frage, welche der möglichen Taten strafrechtlich verfolgt wurden, gingen die Anwälte nach. In 35 Akten fanden sie dazu Hinweise. 10 Fälle seien durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, weitere 20 von einem Gericht abgeurteilt worden, 15 mit einem Schuldspruch.

Es ging auch hier nicht nur um sexuelle Vergehen, sondern auch um Körperverletzung und Beleidigung, wie Schrepfer erklärt.

"Fragmentarische" Aktenführung problematisch

In fünf Fällen ließen die Akten keine Schlüsse auf den Ausgang des Verfahrens zu. Damit verweist Schrepfer auf ein generelles Problem solcher Untersuchungen, das auch schon im Jahr 2010 beim Erzbistum München und Freising zu Tage trat. "Aktenführung impliziert, dass eine Akte geführt wurde", sagt der Anwalt. Er spricht von "Fragmenten".

Es sei oft schwer nachzuvollziehen, wie die Bistumsleitung auf entsprechende Vorwürfe reagiert habe. Doch es gebe auch keine konkreten Anhaltspunkte, dass bewusst verdunkelt worden sei, so der Strafrechtler.

Die Probleme in der Aktenführung setzen sich auch in den Konsequenzen fort. Von den 59 noch nicht verfolgten Fällen sei nur klar, dass 46 Beschuldigte verstorben seien. 13 weitere Fälle wurden der Generalstaatsanwaltschaft zur Überprüfung übergeben. Ob hier noch alle leben, sei unklar, wie Generalvikar Thomas Keßler betont. Einige seien vor 1930 geboren.

Doch neben der strafrechtlichen Ahndung geht es den Verantwortlichen im Bistum vor allem um "möglichst umfangreiche Aufklärung", wie Keßler betont. Das sei man den Betroffenen schuldig.

Wie ernst dies der Bistumsleitung ist, zeigt sich schon kommende Woche. Am Mittwoch werden sich Bischof und Generalvikar mit Betroffenen sexualisierter Gewalt treffen, um von ihnen zu hören, was sie sich von Aufarbeitung und Prävention erwarten.

Noch nicht abgeschlossen ist eine weitere Untersuchung, in der es um mögliche Vorkommnisse an den drei früheren bischöflichen Knabeninternaten in Miltenberg, Bad Königshofen und Würzburg geht.


Quelle:
KNA