Wenn beispielsweise jüngere und fitte Nachbarn bereits geimpft wären und man selbst noch nicht, könne das Gefühl von Ungerechtigkeit aufkommen, sagte Marckmann im Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag). "Wenn erheblich von der vorgegebenen Priorisierung abgewichen wird, ist die Ungleichbehandlung nicht mehr gerechtfertigt. Dies ist dann aus ethischer Sicht zu kritisieren."
Von der ursprünglichen Priorisierung von Bevölkerungsgruppen bei den Impfungen abzuweichen, könnte aus Sicht des Experten gerechter sein, wenn zum Beispiel Hochrisikogruppen bereits geschützt und eine strenge Priorisierung einer raschen Durchimpfung der Bevölkerung "eher im Wege" stehe. So könne die Pandemie schneller unter Kontrolle gebracht werden. Wann es soweit sei, könne man wegen der Entwicklung der Pandemie nicht vorhersagen. "Vielmehr sollten wir lernen, mit der leider nicht zu eliminierenden Unsicherheit umzugehen." Wer nicht gleich Zugang zu einer Impfung erhalte, könne sich mit "etablierten Maßnahmen" schützen.
Beschränkungen für ganze Bevölkerung noch sinnvoll?
Insgesamt werde zu viel darüber diskutiert, ob es ethisch gerechtfertigt sei, Geimpften Rechte und Freiheiten zurückzugeben, betonte Marckmann. Die entscheidende Frage sei vielmehr, ob es mit Blick auf eine zunehmende Durchimpfung der Bevölkerung noch ethisch vertretbar sei, die Freiheitseinschränkungen für alle Menschen weiter aufrechtzuerhalten. Wenn die verletzlichsten Gruppen durchgeimpft seien und wenn man die Pandemie mit zusätzlichen Maßnahmen wie regelmäßigen Tests "ausreichend" kontrollieren könne, müsse "dringend" überprüft werden, ob die Einschränkungen noch nötig seien. "Und zwar insgesamt für die ganze Bevölkerung."