"Ich bin ein Mann ohne Macht, macht mich das zu einer Frau?" Worte eines Menschen-Mannes, die ein Schock für Barbie sind. Denn in ihrem pinken Puppenkosmos haben selbstverständlich Frauen das Sagen. Mehr noch: "Dank Barbie sind alle Probleme des Feminismus gelöst", glaubt sie. Ein fataler Irrtum, wie sie im Menschenreich erfährt. - So das Setting des "Barbie"-Films.
Seit Wochen sorgt der Blockbuster von Greta Gerwig für einen Hype, "Barbie-Core" ist der Modetrend 2023, sogar Möbelhäuser bieten Kollektionen in quietschigem Pastell. Angeblich trennten sich Frauen nach dem Film von ihren "Kens", weil er ihnen die Augen über das Patriarchat öffnete. In manchen muslimischen Ländern ist er "wegen homosexueller Anspielungen" verboten, ebenso in Teilen Südostasiens, weil kurz die umstrittene "Nine-Dash-Line"-Seekarte gezeigt wird mit Gebietsansprüchen Chinas. Doch für die allermeisten Menschen ist er vor allem eins: gute Unterhaltung - allerdings mit unerwartetem Tiefgang.
"Positiv überrascht"
"Ich war positiv überrascht, wie witzig und politisch der Film ist - und dass er sich mit Strömungen des Feminismus auseinandersetzt", sagt etwa die Journalistin Christiane Florin. "Er regt zum Nachdenken an", so die Buchautorin ("Weiberaufstand") und Religionsexpertin des Deutschlandfunks.
Ähnlich sieht es die Medienethikerin, Philosophin und katholische Theologin Claudia Paganini: "Der Film ist für mich eine relativ tiefgründige und auch böse Gesellschaftssatire - wenn man bereit ist, nicht nur auf die vordergründige 'pinke Ebene' zu schauen", so die Professorin, die seit zehn Jahren feministische Philosophie an verschiedenen Universitäten unterrichtet: "Für einen Sommer-Blockbuster eine positive Überraschung."
Barbieland zu Macho-Paradies
Alles beginnt damit, dass Barbie (Margot Robbie) beunruhigende Veränderungen wahrnimmt: Sie kann nicht mehr auf Zehenspitzen laufen, hat Todesgedanken und entdeckt Cellulite an ihrem perfekten Körper. Der Grund: Anscheinend steckt ihre menschliche Besitzerin in einer Krise. Barbie bricht - gemeinsam mit ihrem dümmlichen Verehrer Ken (Ryan Gosling) - in die reale Welt auf, um die Besitzerin zu finden und den glücklichen Status Quo wieder herzustellen.
Doch während Barbie bei den Menschen nur Spott und Hass erfährt und sich im Plastikpuppen-Mutterkonzern einer lächerlichen Männerriege gegenübersieht, entdeckt Ken die für ihn genehmen Seiten des Patriarchats für sich: Er verwandelt Barbieland in sein Macho-Paradies "Ken-dom". Und Barbies Genossinnen - vorher Präsidentin, Nobelpreisträgerin, Astronautin oder Chefärztin - sind plötzlich gehirngewaschene Dummchen, die gerne die Männer bedienen.
"Keinerlei Argumente für Ungleichbehandlung von Frauen"
Eine absurde Überspitzung, bei der aber manchen Kinozuschauerinnen das Lachen im Halse stecken bleibt. Theologin Paganini fühlt sich an die Rolle der Frau in der katholischen Kirche erinnert: "Es ist mir unbegreiflich, dass sich hochqualifizierte Theologinnen nach wie vor degradieren lassen zum Blumenarrangieren am Altar. Das ist einfach unerträglich", so die Professorin. "In der Bibel gibt es keinerlei Argumente für diese Ungleichbehandlung von Frauen, sie beruht rein auf Tradition."
Christiane Florin, bekannt für ihre kritische Haltung gegenüber dem Umgang der Kirche mit der "Frauenfrage", sieht sogar Parallelen zur Muttergottes: "Barbie hat etwas Marien-Gleiches. Die Jungfrau Maria ist ein von Männern erdachtes weibliches Ideal, sozusagen kreiert von der klerikalen Puppen-Truppe in der kirchlichen Vorstandsetage. Und auch Barbie verkörpert mit ihren perfekten Maßen und großartigen Berufen ein Frauenbild, an dem der reale weibliche Mensch scheitern muss. Also ob reine jungfräuliche Magd oder asexuelles Supermodel: Es ist immer ein Ideal, an dem sich reale Frauen messen."
"Ein schönes Märchen"
Sehr treffend findet sie die Worte von Barbies neuer Menschen-Freundin Gloria (America Ferrera), die sich extrem unter Druck fühlt: "Es ist buchstäblich unmöglich, eine Frau zu sein, wir machen immer was falsch." Frauen sollen dünn sein, aber nicht zu dünn, Geld haben und gut sein, aber nicht angeben. Und dabei immer dankbar sein. Was Frauen in der Kirche vielleicht von Barbie lernen können? "Dass dieses Hoffen auf männliches Ermöglichen, dieses 'bitte, bitte' sagen, nichts bringt", so die Journalistin: "Man muss aus diesem Konzept des Gewährens, des Bittens und des Dankbarseins für die Plätze, die Männer Frauen einräumen, herauskommen, sonst ändert sich gar nichts."
Am Ende schaffen es die Barbies, das Patriarchat wieder abzuschaffen und ihre Kompetenz zurückzugewinnen - dank Menschen-Frau Gloria, die ihnen die Augen öffnet, und ihrer eigenen List: Sie bringen die Männer zu der Erkenntnis, dass sie gar nicht so viel Macht haben wollen. Oder wie Ken es sagt: "Als ich festgestellt hab, dass es im Patriarchat gar nicht um Pferde geht, hab ich das Interesse verloren." Er trägt nun ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich bin KENough (genug)." Letztlich ein Hollywood-Ende, findet Claudia Paganini: "In gewisser Weise ist der Barbie-Film auch ein schönes Märchen. Und die Realität passt sich selten unseren Träumen an."