DOMRADIO.DE: Sie waren mit Lothar König befreundet. Was war er für ein Mensch?
Bodo Ramelow (Geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen): Er war eine im wahrsten Sinne des Wortes außergewöhnliche Persönlichkeit.
Jemand, der von außen betrachtet strubbelig aussah, mit seinem Rauschebart ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber seine Art, wie er mit Menschen umgehen konnte und wie er vor allem mit jungen Leuten umgegangen ist, war unglaublich faszinierend. Ich habe ihn auch in schwierigen Phasen des Bundeslandes Thüringen erlebt, in denen er mit Klarheit und mit sehr gutem Sachverstand unterwegs war. Worüber man immer erstaunt war, war, dass er dann häufig gesagt hat "Unser Herr Jesus würde das jetzt so und so sagen" - mitten in einer Punkversammlung oder mitten in einer Situation, wo drumrum jede Menge martialisch ausgestatteter Polizei stand. Dann auf einmal vom Herrn Jesus etwas zu hören und die Punker nickten alle irgendwie - das war schon unglaublich beeindruckend.
DOMRADIO.DE: Die taz nennt ihn "Der Antifarrer". Er war gar nicht so, wie man sich einen Pfarrer vorstellt. Was bedeutete ihm der Glaube?
Ramelow: Ja, das fiel auf. Seine äußerliche Erscheinung und seine innere Herzensbildung passten überhaupt nicht mit dem Bild eines Pfarrers zusammen. Ich komme aus einer uralten evangelischen Familie. Pastoren sind für mich immer ein großes Leitbild gewesen.
Aber er ist jemand, der da völlig rausfällt. Er war auf seine Art auch streitbar, kein Streithansel, aber streitbar in der Sache. In einem Punkt war er dabei stets entschieden: keine Gewalt. Niemals Gewalt anwenden, obwohl man ihn ja immer versucht hat, in die Gewaltecke zu schieben. Er ist in staatlichen Auseinandersetzungen bei Großdemonstrationen mehrfach in die Ecke des Krawallmachers geschoben worden. Das war sehr unfair und unsachlich, denn das war er überhaupt nicht.
DOMRADIO.DE: Schon in der DDR hat er gegen das Regime gekämpft, durfte deswegen zunächst nicht das Abitur machen. Später wurde er von Rechtsextremisten bedroht und auch angegriffen. Wo hat er diesen Mut hergenommen?
Ramelow: Es beginnt, so erzählt er selber, mit der Situation in Prag, Prag 1968. Er hat in seinem Heimatdorf einen Schriftzug mit "21. August ’68 Dubcek" an die Wand gemalt. Das reichte schon aus, damit die Staatssicherheit intensiv nach dem Urheber des Schriftzuges gesucht hat. Er wurde irgendwann in dem Dorf identifiziert. Damit begann einerseits die staatliche Drangsal und andererseits sein Umgang damit. Auf die DDR zu reagieren hieß für ihn, dass er Theologie studiert. Sein Weg in den Glauben zeigt ihm einen Ausweg aus Repression und staatlicher Unterdrückung.
DOMRADIO.DE: Wie hat er die Entwicklung im Osten Deutschlands wahrgenommen? Er muss darunter gelitten haben, dass der Rechtsextremismus in seinem Thüringen so stark geworden ist.
Ramelow: Er hat es als transformatorischen Prozess wahrgenommen, der in die völlig falsche Richtung abgebogen ist. Ich habe in den über 30 Jahren häufig über diese Frage mit ihm diskutiert, weil er schon ein früher Mahner war.
Damals waren die Wahlergebnisse vom 1. September 2024 noch lange nicht abzusehen. Da war die CDU noch die Hauptpartei, die das konservative Spektrum und die sogenannte Mitte abgedeckt hat. Aber das hat er immer schon gesagt: Der Lack bröckelt, weil sich zu wenig auch von den Christsozialen oder Christdemokraten in soziale Prozesse einmischen. Dass man wegguckt, wenn Neo-Nazis aufmarschieren. Derer hat es in jeder Form sehr viele gegeben. Er hat darunter gelitten, dass zu wenige sich damit auseinandergesetzt haben.
DOMRADIO.DE: Aber resigniert hat oder hätte er nie?
Ramelow: Nein, das war nicht seine Sache. Eher so, dass er sich die nächste Kippe gedreht hat, daran gezogen und gesagt hat: "Leute, Leute, Leute, jetzt bleibt doch mal ruhig. Mit der Situation muss man doch umgehen." Er ist niemand, der seinen Glauben verloren hätte. Aber am Ende war es so, dass sein Körper ihm nicht mehr gefolgt ist. Insoweit waren die Entwicklungen der letzten Monate körperlich für ihn die größte Herausforderung. Er ist von Rechtsradikalen körperlich massiv angegriffen worden, was zum Verlust des Auges hätte führen können. Das konnte man in seinem Gesicht sehen. Man konnte die Spuren des rechtsradikalen Übergriffs im Gesicht von Lothar König sehen.
DOMRADIO.DE: Gerade jetzt bräuchten wir mehr Typen wie Lothar König. Fehlen uns solche Menschen?
Ramelow: Jeder Mensch mit Ecken und Kanten und jeder, der nicht einfach nur sagt: "Ich bin gegen die da". Er hat auch immer gesagt, dass auch Nazis Menschen sind. Er hat diese Nazis nicht frei gelassen, indem man sie dann körperlich angreifen darf. Die Gewaltfreiheit hat er aber immer gegenüber Nazis gemeint.
Im Kern ist es immer der Mensch, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Darin ist er Pfarrer geblieben. Er hat verurteilt, was diese Leute tun. Er hat sich klar von inhaltlichen Aussagen distanziert. Aber er hat sich nicht dazu hinreißen lassen, dass er die humanitäre Schwelle überschreitet. Da blieb er im Sinne der Bergpredigt beim Prinzip "Wenn du auf eine Wange geschlagen wirst, halte die andere Seite auch noch hin". Solche Menschen, die diese Kraft, diesen Mut und diese Eindeutigkeit haben, sind es, die am Ende Menschen beeindrucken.
Ich habe das in Erfurt vor dem Hauptbahnhof mal erlebt. Es war eine ganz angespannte Situation. Dazwischen stand Lothar König. Ganz ruhig, "Leute, Leute, Leute, unser Jesus hätte jetzt das und das dazu gesagt" und auch "unser Herr Jesus hätte keine Gewalt angewendet". Damit hat er die Lage beruhigt.
DOMRADIO.DE: Was bleibt von Lothar König? Gibt es so etwas wie sein Vermächtnis an uns?
Ramelow: Er ist immer noch überall zu spüren. Das war schon so, als er mit 65 in Rente ging. Die junge Gemeinde in Jena musste sich neu sortieren - ohne eine Type wie Lothar König. Das war quasi der Übergang in das Vermächtnis. Aber er ist sich auch in den weiteren Jahren treu geblieben. Ein Lothar König kannte keinen Ruhestand. Und er bleibt. Auch wenn er körperlich nun nicht mehr bei uns ist. Eine Kraft bleibt. Für mich, als Abgeordnetem im Thüringer Landtag, lebt er in der Fröhlichkeit seiner Tochter Katharina König weiter - eine taffe Abgeordnete, die sehr klar, sehr präzise ist und genauso hartnäckig sein kann wie ihr Vater.
Das Interview führte Johannes Schröer.