Bolle, Flunder, Gotteslieder - die Mundorgel wird 70

"Unsere Klientel ist älter geworden"

Ein kleines rotes Heft mit Liedern fürs christliche Zeltlager: Vor 70 Jahren gingen die ersten Exemplare der Mundorgel in Druck. Der Beginn einer bewegten Erfolgsgeschichte. Auch heute hat das Büchlein noch viele Fans.

 © Klaus Landry (epd)
© Klaus Landry ( epd )

DOMRADIO.DE: Fangen wir mal mit der Entstehung an. Und da müssen die Katholiken ja mal schlucken, denn die Mundorgel ist eigentlich evangelisch. Wie ist das denn passiert?

Hilger Müller (Ehrenamtlicher Geschäftsführer Mundorgel Verlag): Die Ursprünge der Mundorgel liegen im Jahr 1953. Da waren vier Jugendgruppenleiter, das war damals der Evangelische Jungmännerverein, Kreisverband Köln, im weitesten Sinne jetzt der CVJM Kreisverband Köln. Die hatten sich für eine Jugendfreizeit überlegt, ein entsprechendes Liederbuch zu kreieren. Und schlussendlich waren das dann 500 Exemplare, die man auf eigene Kappe einmal produziert hatte. Und obwohl der CVJM ja eine überkonfessionelle Jugendarbeit betreibt, ist sie doch überwiegend evangelisch geprägt.

Hilger Müller

"Diese ersten 500 Exemplare hat der Drucker noch selber mit dem Fahrrad in das Zeltlager gebracht hat."

DOMRADIO.DE: Haben die Macher mit diesem Riesenerfolg gerechnet? Jedes zweite Kind in Westdeutschland hatte eine Mundorgel, eine Auflange von zehn Millionen ... Das war ja richtig viel Arbeit damals.

Müller: Das hat eine wahnsinnige Dynamik gehabt. Das sind letzten Endes nachher auch Umsätze gewesen, die eine Größenordnung angenommen haben, mit denen man sicherlich nicht gerechnet hat. Diese ersten 500 Exemplare hat der Drucker noch selber mit dem Fahrrad in das Zeltlager gebracht hat.

Der Erfolg hat auch dazu geführt, dass das Ganze in eine Mundorgel Verlag GmbH ausgegliedert werden musste, weil es dann Themen gab, die das Finanzamt interessiert haben.

Geistliche Lieder bilden nach wie vor einen Schwerpunkt in der Mundorgel (KNA)
Geistliche Lieder bilden nach wie vor einen Schwerpunkt in der Mundorgel / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Dass die Mundorgel in Köln entstanden ist, ist vielleicht auch kein Zufall. Die Kölner sind ja bekannt dafür, dass sie gerne singen. Mir ehrlich gesagt fallen vor allem die lustigen Lieder ein: Bolle, der zu Pfingsten nach Pankow fährt, oder die platt gedrückte Flunder, die sich in den Hering verliebt. Aber es sind ja tatsächlich auch Lieder mit Tiefgang drin, mit christlichem Hintergrund.

Hilger Müller

"Die Gewinne fließen nach wie vor in die christliche Jugendarbeit."

Müller: Die Mundorgel ist in verschiedene Sparten aufgeteilt, die einerseits die christlichen Lieder beinhaltet, aber auch die Gassenhauer, wie man früher gesagt hat, sodass die ganze Mundorgel da so einen Mehrklang hatte in verschiedene Kategorien. Von 1953 bis 2001 hat es mehrere Überarbeitungen gegeben, wo Lieder herausgenommen worden sind. Das waren Lieder, die damals im Nationalsozialismus von der Hitlerjugend vereinnahmt worden sind, wo man gesagt hatte, die Lieder, die sind doch etwas schwierig. Es sind auch neue Lieder hinzugekommen sind. Und im Jahr 2001 hat man die Mundorgel im Rahmen der deutschen Rechtschreibreform noch einmal überarbeitet.

DOMRADIO.DE: Und wie geht es der Mundorgel heute? Wird sie noch gekauft?

Müller: Die Mundorgel wird noch gekauft. Und die Gewinne von dem Mundorgel-Verlag fließen nach wie vor an den CVJM Kreisverband und damit in die christliche Jugendarbeit. Es gibt immer noch ausreichend Umsätze, sodass wir Gewinne erwirtschaften. Jedoch so stark sind die Umsätze natürlich nicht mehr, dass wir uns hier einen hauptamtlichen Geschäftsführer leisten könnten, sodass das doch überwiegend mit persönlichem Engagement ohne Salär einhergeht.

Hilger Müller

"Man muss ganz klar sagen, dass sich der Altersdurchschnitt nach oben verschoben hat."

DOMRADIO.DE: Und die sieht heute anders aus, oder?

Müller: Im Laufe der Jahre hat sich die Farbe immer wieder mal geändert, bis sie dann irgendwann mal knallrot war. Die ersten Exemplare hatten andere Farben. Die klassische Textausgabe ist eigentlich vom Format her so geblieben. Die Notenausgabe gab es erst ab dem Jahre 1964. Und wir haben dann einfach in den letzten Jahren gesehen, dass unsere Klientel mit der Mundorgel auch älter geworden ist, sodass wir uns dann nach mehrfachem Nachfragen dazu durchgerungen haben, die Textausgabe in ein etwas größeres Format zu bringen, es hat ungefähr die Größe eines DIN A5-Heftes.

 (KNA)

Das war manchen offenbar immer noch nicht groß genug, sodass wir dann eine DIN A4-Ausgabe herausgebracht haben. Das kann man dann schon fast ohne Brille sehr gut sehen. Also das Ganze ist immer noch lebendig, aber man muss ganz klar sagen, dass sich der Altersdurchschnitt sicherlich nach oben verschoben hat.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Quelle:
DR