DOMRADIO.DE: Sie waren sechs Tage in Estland und haben dort einige Projekt-Besuche gemacht. Wo waren Sie genau und was haben Sie sich da angeschaut?
Monsignore Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerkes): Ich war in Tallinn und in Pärnu. Ich hatte dort Gespräche mit Bischof Jourdan, Generalvikar Alfonso und mit anderen Verantwortungsträgern. Beispielsweise habe ich mir eine neue Schule angesehen, aber auch die Sankt-Michael-Schule. Die gibt es seit 2013. Den Neuaufbau dieser katholischen Privatschule hat das Bonifatiuswerk unterstützt. Mehr als 300 Kinder können in diesem Land dadurch diese Schule besuchen.
Ein anderes Projekt ist das Gemeindezentrum in Pärnu. Diese Diaspora-Gemeinde hat einen Durchmesser von etwa 300 Kilometern. Am Sonntag treffen sich an einem Ort etwa 30 Menschen, die zum Gottesdienst zusammenkommen.
Wir haben zudem das Brigitten-Kloster in Tallinn besucht. Die Schwestern sind sehr dankbar und uns im Gebet verbunden. Neben großer Gastfreundschaft war auch die Dankbarkeit insgesamt zu spüren, dass wir die Menschen unterstützen und sie nicht allein lassen.
DOMRADIO.DE: Wie sind die Menschen Ihnen begegnet? Wie wissen sie um die Arbeit des Bonifatiuswerks und was da passiert?
Austen: Das Wichtige ist für uns im Bonifatiuswerk, dass wir nicht nur Anträge ausfüllen, sondern miteinander im Gespräch sind. Ich glaube, wir können noch einiges von den Menschen lernen, die mit einfachen Mitteln Glaubenszeugnis in eine Gesellschaft geben, wo offiziell etwa 75 Prozent der Bevölkerung keiner christlichen Konfessionen angehören.
Der katholischen Kirche gehören im gesamten Land etwa 7.000 Katholikinnen und Katholiken an, das sind keine 0,6 Prozent. Dort leben 13 Priester und der Bischof, die alle über das Land verteilt sind. Sie strahlen unter sehr einfachen Bedingungen eine Zuversicht, eine Dankbarkeit aus. Aber sie wissen eben auch mit all den Schwierigkeiten umzugehen, die sie dort im Land erleben.
DOMRADIO.DE: Was nehmen Sie von dieser Reise auch für sich und für die Arbeit und die Kirche hier in Deutschland mit? Was konnten Sie konkret daraus lernen?
Austen: Der Generalvikar sagte: "Uns kommt es nicht auf die Anzahl an, sondern darauf, dass wir Menschen brauchen, die glauben und aus dem Glauben leben."
Wir sind ja eine ganze Menge Katholiken, aber auch insgesamt Christen hier in Deutschland. Wenn die alle aus dem Glauben leben und den Glauben mit allen Belastungen Wirklichkeit werden lassen, dann hat das auch eine Ausstrahlungskraft. Für mich ist die Herausforderung, was wir einer Gesellschaft Wertvolles sagen und Wertvolles geben können.
Natürlich erlebe ich in Estland auch die großen Herausforderungen zwischen Bangen und Hoffen durch den Krieg im Nachbarland Ukraine. Dort leben zehntausende Geflüchtete. Es war sehr bedrängend und gleichzeitig für mich auch sehr bereichernd, wie die Menschen in Estland damit umgehen.
Ich war in einem Projekt in der ukrainisch-katholischen Kirche, wo geflüchtete Menschen aus der Ukraine ankommen können und Obdach bekommen.
DOMRADIO.DE: Haben die Menschen denn große Angst und finden sie vielleicht auch einen Anker in ihrem Glauben?
Austen: Mit Sicherheit finden Sie einen Anker in ihrem Glauben, aber auch in der Hinsicht, dass die Menschen sich gegenseitig helfen, dass sie die Türen öffnen und konkret mit anpacken. Die Sorgen treiben sie natürlich an, aber sie leben auch mit Zuversicht.
Wir waren zufällig zur Mittsommernacht da. In einem kleinen Dorf wurde dort in aller Schlichtheit mit allen Generationen das Johannisfeuer entzündet, Stockbrot gebacken, getrunken, getanzt. Es war sehr beeindruckend, dass die Menschen trotz aller Sorgen zusammenkommen und miteinander feiern können und dadurch auch Kraft bekommen, den Alltag zu bestehen.
Das Interview führte Michelle Olion.