Bonn reagiert mit Solidaritätsaktion auf antisemitischen Angriff

"Eine wunderbare Reaktion"

Ein US-amerikanischer Professor wurde wegen seines jüdischen Glaubens in Bonn angegriffen - kein Einzelfall in Deutschland 2018. Die Bundesstadt reagiert spontan mit einer Solidaritätsaktion, einem "Tag der Kippa" – und erntet Zuspruch.

Junger Mann mit Kippa / © Paul Zinken (dpa)
Junger Mann mit Kippa / © Paul Zinken ( dpa )

KNA: Derzeit treffen sich internationale Religionsvertreter zu einem Seminar über Religion und Frieden, an dem Sie auch teilnehmen, in Bonn. Sie haben von dem antisemitischen Angriff gegen einen US-Amerikaner gehört, der Kippa trug. Der Täter war ein junger Deutscher mit palästinensischen Wurzeln; bei der Festnahme hat die Polizei Täter und Opfer verwechselt und das Ganze noch schlimmer gemacht. Mit welchem Gefühl sind Sie jetzt hier?

Tomas Kraus (Direktor des Bundes der jüdischen Gemeinden in Tschechien): Mit einem guten Gefühl, wie eigentlich immer in Deutschland.

Ich fühle mich nicht unsicher. Dennoch: Dass so etwas passiert, ist schrecklich, und wir Tschechen beobachten das als Nachbarn sehr genau. Die Atmosphäre hat sich leider in den letzten Jahren geändert, wie wir vom Zentralrat der Juden in Deutschland wissen. Das ist ein echtes Problem.

KNA: Wie erklären Sie sich das?

Kraus: Einerseits sind auch in Deutschland populistische Parteien und Strömungen im Aufwind. Andererseits ist durch die Zuwanderung vieler Muslime eine sehr schwierige Haltung zu Israel und damit oft pauschal zu den Juden nach Deutschland gekommen.

KNA: Was raten Sie den Deutschen? Sich weitgehend gegen Flüchtlinge abzuschotten, wie es etwa die sogenannten Visegrad-Staaten tun, zu denen auch Tschechien gehört?

Kraus: Nein, denn für uns Juden gehört es zu unseren Grundprinzipien, den Menschen zu helfen. Das haben wir in unseren Genen. Aber gleichzeitig müssen wir wissen: Viele der Migranten aus muslimischen Ländern werden von Kindesbeinen an zu einer israel- und judenfeindlichen Haltung erzogen. Ich habe gehört, dass manche zum Beispiel Probleme mit dem Holocaustgedenktag haben. Das Zauberwort ist Bildung. Jetzt ist es wichtig, ihnen zu vermitteln, dass dies eine vollkommen inakzeptable Haltung ist, die hierzulande nicht toleriert wird. Deutschland muss ganz laut sagen: Das sind unsere Prinzipien, und jeder, der mit uns leben will, muss dazu stehen.

KNA: Das andere Problem, das Sie ansprachen, die Populisten: Deren größte parteiliche Vertretung sitzt inzwischen im Bundestag. Dadurch scheinen ausländerfeindliche und antisemitische Meinungen wieder hoffähig zu werden. Das macht vielen Angst.

Kraus: Manche politische Karrieren sind auf Angst aufgebaut. Auch hier hilft nur Bildung, Aufklärung, korrekte Information darüber, was diese Politiker wirklich wollen und tun. Da spielen auch die Medien eine wichtige Rolle, wie ich aus Tschechien weiß. Je mehr Stereotype wie "Jeder Muslim ist ein Terrorist" verbreitet werden, desto mehr Menschen übernehmen das und haben Angst - was wiederum den Populisten hilft.

KNA: Wie steht es mit antisemitischen Angriffen in Tschechien?

Kraus: Es gibt Statistiken, wonach der Antisemitismus in Tschechien der niedrigste von ganz Europa ist.

KNA: Wie erklären Sie sich das?

Kraus: Die Bevölkerung hat sich während der Nazizeit nicht beteiligt am Holocaust. Sie sehen sich selbst als Opfer, genau wie wir Juden.

Außerdem betrachten sie die jüdische Kultur als Teil Tschechiens. Zum Beispiel wurden Legenden etwa von Rabbi Löw oder dem Golem von der tschechischen Kultur adaptiert. Und auch Persönlichkeiten wie der britische Jude Nicholas Winton, der 600 jüdische Kinder mit den Kindertransporten nach England gerettet hat, wird vom tschechischen Volk als riesiger Held angesehen, obwohl er keinerlei Wurzeln im Land hat. Schließlich: Vaclav Havel war nach der Wende der erste Kämpfer gegen Antisemitismus und für gute Beziehungen zu Israel. Das ist bis heute geblieben in der tschechischen Politik.

KNA: Wie ist die Situation der Juden heute in Tschechien?

Kraus: Wir sind eine Gemeinde von Überlebenden - des Holocaust und des Kommunismus. Inzwischen gibt es immerhin zehn jüdische Gemeinden mit 3.000 Mitgliedern in ganz Tschechien. Insgesamt schätzen wir, dass es zusammen mit jüdischen Zuwanderern aus USA, Israel und Europa etwa 20.000 im ganzen Land sind. 1930 dagegen waren allein in Prag 50.000 Juden, in der ganzen Tschechoslowakei, also Böhmen, Mähren und der karpatischen Ukraine, lebten etwa 350.000 Juden.

KNA: Nochmal zurück nach Bonn: Oberbürgermeister Ashok Sridharan hat für Donnerstag spontan zu einem "Tag der Kippa" aufgerufen. Niemand in Bonn - erst recht kein Gast - sollte sich vor Tätlichkeiten fürchten müssen, auch nicht wegen eines religiösen Symbols, hieß es. Was sagen Sie dazu?

Kraus: Ein "Tag der Kippa" ist eine wunderbare Reaktion auf diesen antisemitischen Angriff. Das ist sehr, sehr wichtig. Damit zeigt man seine Solidarität, und dass solche Dinge von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Ich habe meine Kippa dabei. Vielleicht komme ich auch, wenn es das Seminarprogramm zulässt.

KNA: Worum geht es da eigentlich genau?

Kraus: Es ist ein Folgetreffen der Konferenz 2017 in Berlin, wo es um den Beitrag der Religionen zum Frieden ging. Wir, etwa 15 internationale Vertreter verschiedener Religionen, wollen dazu jetzt Strategien ausarbeiten. Denn es gibt eigentlich keine Konflikte zwischen den Religionen. Aber man muss einander kennen und übereinander Bescheid wissen. Dann wollen wir konkrete Wege finden, wo wir zusammenarbeiten können. Das werden wir natürlich nicht von einem auf den anderen Tag schaffen, gerade angesichts der heutigen Weltlage. Aber wichtig ist die Botschaft, dass wir das können: gemeinsam etwas für den Frieden leisten.

Das Interview führte Sabine Kleyboldt.


Tomas Kraus / © Julia Steinbrecht (KNA)
Tomas Kraus / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA