DOMRADIO.DE: Herr Prof. Sautermeister, wir danken Ihnen, dass Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben. Sie haben zuerst gezögert, warum?
Prof. Jochen Sautermeister (Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn): In der gegenwärtigen Diskussion um die universitäre Theologie und die Theologenausbildung im Erzbistum Köln habe ich mich in meiner Funktion als Dekan schon mehrfach geäußert und eine sachliche Einordnung vorgenommen. Darum habe ich weitere Medienanfragen abgelehnt.
DOMRADIO.DE: Teilen Sie die Sorge, dass im Jahr 2060 die Situation der Theologenausbildung in Deutschland eine andere sein wird und man daher am besten jetzt schon darauf reagiert?
Sautermeister: Ich halte viel davon, strategisch weitsichtig und umsichtig zu agieren. Das gilt selbstverständlich auch für den Bereich der wissenschaftlichen Ausbildung von künftigen Priestern wie auch generell von Theologinnen und Theologen.
Bis zum Jahr 2060 wird sich Vieles in Kirche und Gesellschaft verändern, was wir heute noch gar nicht absehen und richtig einschätzen können. Darum müssen weitreichende und langfristig bindende Entscheidungen gut durchdacht sein.
DOMRADIO.DE: Sie würden also auch sagen, dass es sich lohnt, in theologische Bildung zu investieren?
Sautermeister: Natürlich. Der Diskussionspunkt ist jedoch, wie dies aussehen soll. Hier geht es um grundlegende theologische, pastorale und hochschulpolitische Aspekte. Erst recht bei begrenzten finanziellen Ressourcen lauten doch die entscheidenden Fragen, welche Vorhaben man priorisiert und welche Mittel und Wege dafür geeignet und angemessen sind.
Das Anliegen, die akademische Theologie im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs auf angemessenem Niveau zu sichern, ist sicherlich ein hochrangiges Ziel. Eine nüchterne Betrachtung zeigt, dass Kirche, Gesellschaft und Wissenschaft ein großes Interesse daran haben. Dafür steht ja auch das Konkordat, das das Ministerium für Kultur und Wissenschaft von NRW aktuell bekräftigt hat. Es hat sich jüngst dazu veranlasst gesehen, den Studienort von Priesteramtskandidaten des Erzbistums Köln an der Universität Bonn klar als solchen zu benennen und für die Ausbildungspraxis gegenüber dem Erzbistum einzufordern.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich in den letzten Jahren mehrfach zur Relevanz der Theologie an der Universität geäußert…
Sautermeister: Es spricht alles dafür, die theologischen Fakultäten an Universitäten zu stärken, die ja bereits in sich ein vielfältiges theologisches Spektrum bieten. Sie sind bestens vernetzt, stehen im interdisziplinären Austausch der Universität und sind eingebunden in gesellschaftsrelevante Debatten.
Sie stellen bewährte und eingespielte Dialogräume von unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven dar, wie sie die Forschenden und Lehrenden aller Fakultäten und auch die Studierenden einbringen. Das kommt allen zu Gute.
DOMRADIO.DE: Wie würden Sie dann konkret auf die künftigen Herausforderungen reagieren?
Sautermeister: Anstatt neue Doppelstrukturen zu schaffen und dabei aufwändige und langwierige Bemühungen um interdisziplinäre Kooperationen mit anderen Wissenschaften auf sich zu nehmen, wäre es meines Erachtens aus den gerade genannten Gründen sinnvoller und zielführender, die etablierten und bewährten theologische Fakultäten an Universitäten zu stärken. Diese bringen das alles ja schon mit und entwickeln sich ständig weiter. Eine solche Stärkung könnte etwa durch Impulse zur Erweiterung und Ergänzung geschehen. So könnten unnötige und kostspielige Doppelungen vermieden und mit deutlich geringerem Aufwand und Invest mehr und gezielter erreicht werden.
DOMRADIO.DE: … die Finanzierungsfrage ….
Sautermeister: Genau. Angesichts der Perspektive 2060 darf man wirtschaftliche Erwägungen nicht unterschätzen. Eine theologische Fakultät an staatlichen Universitäten kostet die Kirche keinen einzigen Cent. Bei kirchlichen Einrichtungen ist das natürlich anders. Die ehemalige Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Augustin mit ihrem missionswissenschaftlichen Profil als Kölner Hochschule für Katholische Theologie bis ins Jahr 2060 auszubauen und zu stabilisieren, würde zum Beispiel Kosten von weit mehr als eine Viertel Milliarde Euro verursachen.
DOMRADIO.DE: Wollen Sie damit sagen, das Missionswissenschaft nicht mehr relevant ist?
Sautermeister: Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Die Steyler-Hochschule in Sankt Augustin stand ja für einen missionswissenschaftlichen und weltkirchlichen Schwerpunkt. Die einschlägigen Institute wie das Anthropos Institut oder das China-Zentrum sind ja weiterhin in Sankt Augustin bei den Steylern angesiedelt.
Im Sinne der Stärkung und Weiterentwicklung fände ich es spannend und innovativ, darüber nachzudenken, wie ein theologisches missionswissenschaftliches und weltkirchliches Profil in Verbindung mit der Universität Bonn als international renommierter Exzellenzuniversität in der UNO-Stadt Bonn mit dem United Nations Campus sowie vielen internationalen NGOs und Think Tanks zur Entwicklungszusammenarbeit und Nachhaltigkeit aussehen könnte.
DOMRADIO.DE: Also Weiterentwicklung und Stärkung institutioneller Vernetzungen als Zukunftsmodell?
Sautermeister: Unbedingt. Vor einer Woche haben wir an der Universität Bonn den Festakt anlässlich der Etablierung des Instituts für Prävention und Aufarbeitung (IPA) als An-Institut der Uni Bonn gefeiert. Für Kirche und Gesellschaft ist das natürlich ein ganz wichtiges Thema.
Hier tritt die Theologie als gleichwertiger Gesprächspartner bei kirchlich und gesellschaftlich relevanten Fragen in Erscheinung, und es zeigen sich die Stärken einer interdisziplinären Zusammenarbeit auf Augenhöhe an der Universität und mit außeruniversitären Einrichtungen. Meines Erachtens ist das ein gutes Beispiel für eine gelungene institutionelle Verbindung, die in die Zukunft weist.
DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie dann die diskutierten Pläne der Deutschen Bischofskonferenz, die Universitätsstandorte für die Priesterausbildung auf drei zu reduzieren?
Sautermeister: Die Diskussion hat vor ein paar Jahren begonnen. Dabei wurden auch ernstzunehmende Bedenken geäußert. Wenn ich es richtig sehe, dann werden diese Pläne nicht weiterverfolgt. Das finde ich gut. Ich selbst habe mich ja schon früher aus pastoralen und theologischen Gründen dafür ausgesprochen, die Regionalität der Priesterausbildung beizubehalten und integrativ weiterzudenken. Solange der Erzbischof von Köln zur Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn steht, muss sich das Erzbistum um die Theologenausbildung auch in Zukunft keine Sorgen machen.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie dann zu dem Einwand, dass vor mehreren Jahren die Wiederbesetzung eines Lehrstuhls an Ihrer Fakultät länger gedauert hat?
Sautermeister: Wer sich im Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb auskennt, weiß, dass es manchmal zu längeren Verzögerungen kommt, bis eine vakante Professur wiederbesetzt wird. Das kann sogar ein paar Jahre dauern.
Die Gründe hierfür sind ganz verschieden. In solchen Fällen gibt es dann eine Lehrstuhlvertretung, die sämtliche Aufgaben übernimmt, so dass der Betrieb weiterlaufen kann und die Studierenden ordnungsgemäß ihr Studium fortführen und abschließen können. Das ist nichts Unnormales und gibt es an allen Universitäten und Fakultäten.
DOMRADIO.DE: In der letzten Woche fiel der Stichwort "Reakkreditierung". Worum handelt es sich da eigentlich?
Sautermeister: Die Reakkreditierung von Studiengängen ist etwas, das regelmäßig erfolgt. Das Vorgehen soll der Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung des Studiums dienen und bildet die Voraussetzung dafür, dass ein Studiengang weitergeführt werden kann. Entscheidend ist, ob man mit oder ohne Auflagen reakkreditiert wird.
DOMRADIO.DE: Herr Prof. Sautermeister, eine gute Theologie braucht vor allem gute junge Leute, die gerne Theologie studieren wollen. Warum lohnt es sich auch heute noch Theologie zu studieren?
Sautermeister: In keinem anderen Studium hat man die Möglichkeit, sich so intensiv und vielseitig mit Glaubens- und Sinnfragen oder mit Fragen von Ethik und Verantwortung zu befassen wie im Theologiestudium – und das aus ganz verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Methoden.
Es ist eine Art Studium universale, das auf der Grundlage der eigenen christlichen Traditionen und im interreligiösen Dialog auf das Gespräch mit vielen Wissenschaften, etwa der Philosophie, der Psychologie, der Soziologie, den Geschichtswissenschaften, den Kultur- und Literaturwissenschaften, der Medizin, dem Recht, der Ökonomie oder den Naturwissenschaften, angewiesen ist.
Das Theologiestudium verstehe ich daher als ein intellektuelles, existenzielles und religiöses Abenteuer. Und abgesehen davon eröffnen sich nach dem Theologiestudium später vielfältige berufliche Optionen, auch über die klassischen Berufsfelder als Priester, Pastoralreferentin oder Religionslehrer hinaus, etwa in der Caritas, im Kultursektor, im Bereich Journalismus, Medien und Kommunikation, in Beratung und Coaching, in Politik, im Bildungssektor, im Stiftungswesen oder in der Wirtschaft.
Daher haben wir etwa mit Beginn dieses Wintersemesters eine neue Studiengangskombination "Theologie und Wirtschaft" eingerichtet. Kurzum, es gibt viele gute Gründe heute noch Theologie zu studieren!
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.