DOMRADIO.DE: Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen, heißt es in der Bibel: Warum passen Theologie und Wirtschaftswissenschaften in Ihren Augen so gut zusammen?
Jochen Sautermeister (Theologieprofessor und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn): Unsere Lebenswelt ist ökonomisch geprägt. Das sieht man ja nicht nur bei der eigenen Haushaltsführung oder Steuererklärung, sondern auch im Großen von Politik und Gesellschaft. Man denke nur an die Auswirkungen des Ukrainekriegs, die auch hierzulande mittlerweile im Leben eines jeden Einzelnen spürbar sind. Allein schon deshalb kommen Theologinnen und Theologen in den verschiedenen beruflichen Feldern nicht umhin, sich mit wirtschaftlichen Zusammenhängen bis zu einem gewissen Grade auszukennen.
Aber auch die Bibel beschäftigt sich mit wirtschaftlichen Themen: Manche Gleichnisse Jesu beziehen sich etwa direkt auf die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit. Oder: die Sozialkritik der alttestamentlichen Propheten prangert ungerechte ökonomische Verhältnisse und Ausbeutung an. Die Theologie ist also schon in ihren biblischen Quellen konfrontiert mit Themen der Wirtschaft.
DOMRADIO.DE: Und daraus ergibt sich eine Relevanz für die heutige Zeit?
Sautermeister: Die Option für die Armen und Ausgegrenzten oder das kirchliche Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit speisen sich maßgeblich aus dem biblisch-christlichen Ethos. Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wären ohne die Tradition und den Einfluss der katholischen Soziallehre so nicht denkbar. Auch wenn es banal klingen mag: Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, die Bedeutung der Arbeit für die Selbstverwirklichung von Menschen, nachhaltiges Wirtschaften, das auch die späteren Generationen im Blick hat, sowie Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl – all das sind Grundpfeiler der katholischen Soziallehre und einer christlichen Wirtschaftsethik. Die Themen sind heute – und das merkt jeder in seinem Alltag – wichtiger denn je.
Wenn wir uns als Theologinnen und Theologen mit wirtschaftlichen Fragen sachkundig beschäftigen wollen, dann genügt es nicht, einfach ein Buch zu lesen. Wer sich damit eingehender auseinandersetzen will, hat mit dieser neuen Fächerkombination eine große Chance. Das gilt sowohl für Theologen als auch für Ökonomen, die ja ebenfalls mit diesen drängenden Fragen zu haben.
DOMRADIO.DE: Warum bieten Sie diese wirtschaftswissenschaftliche Perspektive nicht selbst an, sondern arbeiten mit der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zusammen?
Sautermeister: In der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils geht es um die Kirche in der Welt von heute. Dort wird "die Autonomie der irdischen Dinge" anerkannt. Demnach haben "die geschaffenen Dinge und die Gesellschaften selbst" eigene Gesetze und Werte, man könnte auch sagen: eigene Sachlogiken, die es zu erkennen gilt, um entsprechend verantwortlich gestalten und handeln zu können. Es braucht also die spezifische Expertise aus den einzelnen Bereichen: etwa der Medizin, der Psychologie und eben auch der Wirtschaftswissenschaften. In dieser neuen Studiengangskombination sind nun zwei Wissenschaften mit ihren je eigenen Kompetenzen beteiligt. Die Studierenden sitzen also in den Hörsälen und Seminarräumen gleich zweier Fakultäten – Interdisziplinarität und Gesellschaftsrelevanz im besten Sinne.
DOMRADIO.DE: Was sind denn ganz praktische Anwendungsfelder, in denen beide Disziplinen kombiniert werden können?
Sautermeister: Nehmen wir die verbandliche Caritas, die in ganz verschiedenen Bereichen mit ökonomischen Zusammenhängen zu tun hat: etwa in der Sozialen Arbeit oder bei der Frage nach angemessenen Unterstützungsleistungen. Und nicht zu vergessen: Die Caritas selbst ist ein wirtschaftlicher Akteur, ja sogar einer der größten Arbeitgeber. Es braucht also ein Verständnis für unternehmerische Zusammenhänge wie für volkswirtschaftliche, politische und soziale Prozesse und Strukturen. Zugleich muss aber auch die Frage bedacht werden: Wie ist das Ökonomische zusammenzubringen mit dem eigenen Auftrag, dem katholischen Profil und christlichen Ethos der Caritas und dem ethischen und theologischen Selbstverständnis caritativen Handelns.
Ein weiteres wichtiges Feld ist die Frage nach dem Menschenbild, das unser Handeln und unsere Sicht auf uns selbst leitet: Ist der Mensch vorrangig als ein Homo oeconomicus zu verstehen, der allein aufgrund ökonomischer Abwägungen und Nutzenmaximierung entscheidet? Oder ist der Mensch nicht vielmehr darüber hinaus auch als ein hoffender Mensch zu verstehen, der sich an umfassenden Werten orientiert und von der Frage nach Sinn ergriffen ist?
Meines Erachtens sollte man beides nicht gegeneinander ausspielen. Wir Menschen sind komplex. Darum ist es gut zu verstehen, was Menschen in ihrem Entscheiden und Tun motiviert. Hier bedarf es eines Realitätssinns, der der Ambiguität menschlichen Handelns Rechnung trägt: also weder bloß ökonomische Zweckrationalität noch spirituell-moralische Idealisierung.
Es gibt also genügend Themen, über die Disziplinen hinweg ins Gespräch zu kommen.
DOMRADIO.DE: Besteht da nicht die Gefahr, dass die Theologie gegenüber den Wirtschaftswissenschaften zur Disziplin des moralisierenden, erhobenen Zeigefingers wird?
Sautermeister: Das geschieht gerade dann nicht, wenn man im interdisziplinären Gespräch ist. Dann kennt man nicht nur das eigene Fach, sondern auch die Sachzusammenhänge, Hermeneutik und Methoden der anderen Fächer. Und genau das bewahrt vor unkundiger Besserwisserei. Interdisziplinarität ist quasi Moralisierungsprävention durch wissenschaftlichen Austausch. Umso größer der moralische Zeigefinger, desto geringer ist das Verständnis für die verschiedenen Eigenlogiken der Lebensbereiche.
Es gibt aber auch die problematische Heilsvorstellung und Heilsversprechung vom unbegrenzten Fortschritt und Wachstum. Die sind jedoch längst überholt, weil wir wissen, dass das heillos übertrieben und unrealistisch ist und solche Vorstellungen destruktive Folgen haben. Dann bedarf es einer Kritik an naiven Vorstellungen, überzogenen Behauptungen und inhumanen Interessen. Eine sachkundige Kritik aus Verantwortung hat aber nichts mit Moralisieren zu tun.
DOMRADIO.DE: Theologen sollen sich ja vor allem mit Gott beschäftigen: Wenn nun die Wirtschaftswissenschaften die Hälfte des Studiums ausmachen – besteht dann die Gefahr einer "Verweltlichung" der Theologinnen und Theologen?
Sautermeister: "Verweltlichung" kann man zweifach deuten: Einerseits als eine berechtigte Kritik, wenn Theologie zu einer reinen Kultur- und Sozialwissenschaft wird, die die theologische Dimension, die theologische Hermeneutik und die theologischen Voraussetzungen nicht maßgeblich berücksichtigt, reflektiert oder ganz fallen lässt.
Andererseits als polemischer Tendenzbegriff, nämlich dann, wenn hinter dem Vorwurf der "Verweltlichung" letztlich eine Abwertung der Lebenswirklichkeiten steht, von denen man sich abschotten möchte, um sich nicht mit den Tiefen und Untiefen des Lebens auseinandersetzen zu müssen. Christliche Verantwortung bedeutet aber genau das Gegenteil. Es geht darum zu verstehen, was Menschen denken, was sie bewegt, welche Fragen sie umtreiben, wie sie die Welt sehen und in welchen Zusammenhängen sie leben. Ohne das sind Glaube und Kirche nicht möglich. Evangelisierung und Inkulturation sind bleibend darauf angewiesen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Kirche und Theologie ort- und leblos werden. Dann werden sie zu einem bloßen Gedankenspiel in einer Sonderwelt.
Also nicht Verweltlichung, sondern ein Weg, wie Theologie als Glaubenswissenschaft im universitären Haus der Wissenschaften ihrem Auftrag gerecht wird: Die theologische Expertise erweitert sich um eine wirtschaftswissenschaftliche – und umgekehrt: Die ökonomische Expertise wird durch eine theologische Qualifikation ergänzt.
DOMRADIO.DE: Kirche in der Welt, das geht immer über Personen: Was kann ich denn mit einem Bachelor in Theologie und Wirtschaftswissenschaften machen?
Sautermeister: Es gibt viel Aufgaben im karitativen und Non Profit Bereich, wo genau diese Mischung aus theologischer und ökonomischer Expertise gefragt ist. Auch in den kirchlichen Verwaltungen und Organisationen gibt es einen entsprechenden Bedarf.
Ein zweiter Charme dieser neuen Studiengangskombination besteht darin, dass der theologische Teil durch das sogenannte "Voll-Studium" auf Magister theologiae bzw. kirchliches Examen in katholischer Theologie abgedeckt werden kann. Wer also mit dem Berufsziel Pastoralreferentin oder Priester studiert oder bereits damit fertig ist, bringt also die theologischen Studienanteile schon mit. Für Theologinnen und Theologen in kirchlichen Leitungsaufgaben und mit Führungsverantwortung ist ökonomischer Sachverstand unerlässlich – erst recht, wenn man an die großen Herausforderungen in den Bereichen Finanzen, Organisation, Struktur und Personal denkt, mit denen die Kirche auch in Zukunft immer zu tun haben wird.
Das Interview führte Gerald Mayer.