domradio.de: Am vierten Advent haben Sie das Projekt zum ersten Mal in die Gemeinde eingebracht. Sind Sie von allen mit offenen Armen für dieses Thema empfangen worden?
Guido Zernack (Pastoralreferent der Gemeinde St. Rochus und Augustinus in Bonn-Duisdorf und Koordinator von "Netzwerk Syrienhilfe"): Zumindest von allen, die mit mir erst einmal gesprochen haben. Ich habe natürlich gehört, dass einige gesagt haben, was haben wir eigentlich mit Syrern zu tun. Wir haben als nächstes ein Netzwerk gegründet, wo ich alle Hilfswillige angeschrieben habe und dann haben wir mal nach und nach geguckt, was wir denn machen müssen. Es kam auch die Frage auf, ob das denn Christen sind. Darauf habe ich gesagt: Ich weiß es nicht, ich habe nicht danach gefragt. Das sind Menschen in Not, denen wir helfen müssen. Einige haben natürlich schon gefragt, wieso helfen wir nicht Christen - aber ich kann ja nicht die Leute abweisen und sagen, Du bist leider Moslem, Dir helfe ich jetzt nicht.
domradio.de: Es ging dann damit los, die Flüge zu organisieren für die Flüchtlinge. Dann kamen die ersten im Februar bei Ihnen in Bonn an - und jetzt sind sie hier und die Welt ist plötzlich in Ordnung, oder?
Zernack: Die Welt ist nicht in Ordnung. Erstens war es überhaupt schon eine Riesenschwierigkeit all das zu bewerkstelligen, die Leute aus Syrien zu holen, sie waren teilweise schon in Jordanien, lebten dort zu 30 Personen in einer Wohnung, die Flüge zu bekommen, Wohnungen zu bekommen, das war ein Riesenproblem. Das ging letztendlich auch nur mit Beziehungen, weil auch jemand in der Politik ein Machtwort gesprochen hat und gesagt hat, sie sollen jetzt eine Wohnung bekommen. Auf dem freien Wohnungsmarkt bekommen Sie nämlich keine Wohnung für Flüchtlinge! Da haben wir viel Ablehnung erfahren. Inzwischen sind alle im Kindergarten, in der Schule, lernen Deutsch, aber es ist sehr schwierig überhaupt für sie eine Arbeit zu finden.
domradio.de: Wie sieht die Perspektive aus? Im Grunde muss es ja darum gehen, die Flüchtlinge lebensfähig zu machen in Deutschland und dazu gehört dann auch ein Job. Wie gehen Sie da weiter vor, um zu diesem Zustand zu kommen?
Zernack: Zunächst einmal ist jetzt noch das Deutschlernen dran. Das ist sozusagen deren Beruf im Moment. Sie sind auch alle ganz eifrig dabei, weil sie wissen, wie wichtig das ist. Aber um wirklich eine Anstellung zu finden, wo sie auch ihre Familien ernähren können - darum geht es ja, ist auch viel "good will" der deutschen Bevölkerung gefordert. Da muss auch noch was geschehen, dass Menschen einfach den Mut haben, zu sagen, da sind Menschen, die können ohne unsere Mithilfe nicht. Da muss ich eben ein paar Abstriche machen und ich sehe deren guten Willen und stelle einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Denn ich glaube ohne diesen "good will" wird es nicht gehen.
domradio.de: Wie steht es um die Psyche der Flüchtlinge? Sie müssen nicht mehr um Leib und Leben bangen, aber womit hadern sie im Moment am meisten?
Zernack: Nein, natürlich waren sie erst einmal überglücklich, haben auch gar nicht verstanden, wieso wildfremde Menschen von einer anderen Kultur, anderen Sprache, anderen Religion ihnen helfen. Diese Hilfe haben sie weder in Syrien noch in Jordanien erfahren, da waren sie ja schon Flüchtlinge. Es ist praktisch so, wo das äußere Leben gesichert ist, kommen natürlich jetzt die inneren Probleme hervor, das ganze Schreckliche, was sie verarbeiten müssen von Krieg und Bombenangriffen, von Leichen, die sie gesehen haben. Es gibt zwei, die immer noch nicht schlafen können, weil diese ganzen schrecklichen Bilder sie verfolgen. Da wird auch noch etwas passieren müssen, um das aufzuarbeiten, aber es ist nicht jeder dazu bereit, es gibt da auch kulturelle Schwierigkeiten. Die Welt ist noch durchaus nicht heil.
domradio.de: Würden Sie Ihr Hilfsmodell vom "Netzwerk Syrienhilfe" so ohne weiteres auch Menschen andernorts empfehlen? Mit anderen Worten: Könnte das jeder?
Zernack: Ich würde ja sagen. Vor allen Dingen wenn ich jetzt mitbekomme, was in Flüchtlingsheimen geschieht. Da werden Riesenmenschenmengen in ganz kleine Unterkünfte gepfercht - Menschen aus unterschiedlichen Nationen müssen auch zusammenleben, das fördert natürlich Konflikte. Und hier ist es so, da ist eine Familie, die von Freiwilligen betreut wird. Es gibt ganz viele freiwillige Initiativen, dass sie Deutsch lernen, jemand hat das mit der Schule in die Hand genommen, das kann man gar nicht verstehen, was alles an schulischen Möglichkeiten da ist oder wie das funktionieren soll. Das heißt, hier gibt es ganz viele Leute, die diese Familien unterstützen, wo es engen Kontakt gibt. Dadurch funktioniert auch eine Integration und dadurch ist viel Unterstützung und Hilfe da. Insofern halte ich das für ein gutes Modell. Wichtig wäre nur, dass die Politik, der Staat, die Städte, Kommunen auch subsidiär diese Projekte unterstützen. Das ist auch hier zum Teil schon gelungen, aber könnte sicherlich noch mehr geschehen. Insofern halte ich das für ein machbares und gutes Modell.
Das Interview führte Daniel Hauser