DOMRADIO.DE: Ist es in dieser schnelllebigen Zeit etwas besonderes, wenn ein Chor 150 Jahre besteht?
Markus Karas (Regionalkantor; Münsterorganist und Dirigent): Auf jeden Fall, auch in dieser Kontinuität und Dichte, was Aufführungen in Gottesdiensten, aber auch in Konzerten angeht.
DOMRADIO.DE: Der Münsterchor ist längst nicht der einzige Chor bei Ihnen. An wen richtet sich dieser Chor im Unterschied zu den anderen Chorgruppen?
Karas: Der Münsterchor hat die längste Tradition seit 150 Jahren und gestaltet traditionell die Festhochämter an den hohen Feiertagen und vor allen Dingen mit Vokalsolisten und Orchester, so wie jetzt auch in dem Fest-Konzert zum Jubiläum am Freitag.
Bei den anderen Chören handelt es sich um Kammerchöre. Einmal ist es die Münsterschola, die Wolfgang Bretschneider gegründet hat, der leider vor zwei Jahren verstorben ist. Der Chor wird jedoch von Sylvia Dörnemann weitergeleitet.
Ebenfalls gibt es den Chorus Cantate Domino am Bonner Münster seit 1993. Dieser singt am ehesten A-Cappella oder orgelbegleitete Musik.
DOMRADIO.DE: Das Bonner Münster war über viele Jahre wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Außerdem war Corona für alle Chöre eine große Herausforderung. Wie haben Sie die Arbeit mit Ihren Chören in diesen vergangenen Jahren erlebt?
Karas: Es war eine doppelte Herausforderung. Zum einen waren es die vier Jahre Generalsanierung. Wir wurden allerdings sehr gastfreundlich in der Remigiuskirche hinter dem Alten Rathaus aufgenommen. Dort haben wir dann auch während Corona geprobt. Teilweise hatten alle eine Maske auf, als dies verordnet war. Die Chöre haben das mit durchgetragen.
Wir haben dann in kleinster Besetzung wieder angefangen, Gottesdienste zu gestalten, als es erlaubt war. Dies hat sich bis letztes Jahr zum Osterhochamt immer weiter gesteigert. Das war der erste Auftritt nach der Wiedereröffnung im Herbst 2021. Da haben wir an Ostern endlich wieder Beethovens C-Dur Messe am angestammten Platz im Bonner Münster gesungen, so wie es seit über 100 Jahren im Bonner Münster am Ostersonntag Tradition ist.
DOMRADIO.DE: Vor Corona lag Chorsingen im Trend. Wie ist das heute? Wie kann man junge Leute fürs Singen begeistern?
Karas: Es ist wichtig, dass man durch häufige Auftritte in Gottesdiensten Aufmerksam erregt, wenn möglich auch in Konzerten. Es ist auch immer eine Frage der Finanzierung in solchen Kirchen, die dank ihres Standortes wie das Bonner Münsters so prominent in der Stadt zu sehen sind, dass man Menschen auf diese Tätigkeit aufmerksam macht. Junge Leute, die vorher eine Vorbildung in der Schule oder sogar in anderen Chören hatten, haben dann natürlich einen niederschwelligeren Einstieg als solche, die noch nie im Chor aktiv waren.
Wir haben jedoch einige neue Mitglieder dazugewonnen. Eventuell auch durch das schöne neue Münster, das seit der Generalsanierung wieder seinen Glanz entfaltet, haben wir auch vor allem junge Sängerinnen dazu bekommen.
Es sind Studierende aus Münster gekommen, die vorher dort in den Domchören aktiv waren. Das sind nicht nur verjüngende Elemente in den Chören, sondern solche, die auch ausgezeichnet singen. Bei den Männern kommen auch immer wieder neue Sänger dazu. Diese sind von ihrem Kenntnisstand unterschiedlich vorgebildet. Ich bin jedoch dankbar für jede Stimme, die den Weg in unsere Chöre findet.
DOMRADIO.DE: Beim Festkonzert jetzt am Freitag - das schon ausverkauft ist - erklingt für Chor und Orchester die Messe Solennelle von Charles Gounod und auch eine Komposition von Ihnen. Nach welchen Kriterien haben Sie das Programm zusammengestellt?
Karas: Ich wusste schon durch den Ukrainekrieg, dass wir neben dem feierlichen Aspekt, den die Messe zum Ausdruck bringt, auch Stücke ins Konzert nehmen müssen, die etwas nachdenklich stimmen. Dann habe ich mich für die fünf symphonischen Choralvariationen entschieden, weil sie einerseits in ihrem postromantischen Zielgut zu Gounod passen und auch das große Instrumentarium benötigen.
Dort geht es um Choraltexte, die einerseits Zuversicht, aber auch Nachdenkliches zum Inhalt haben. Dies fängt mit österlichen Texten an und endet mit dem wunderbaren Lied von Thomas Gabriel "Gott hat mir längst einen Engel gesandt", mit großem Orchester, Sound und 100 Sängerinnen und Sängern.
DOMRADIO.DE: Was planen Sie mit dem Chor für die nächsten Jahre?
Karas: Für das kommende Jahr haben wir ein Mendelssohn-Projekt geplant. Damit dieses wieder so groß und stimmgewaltig wird wie das jetzige Konzert, haben wir den Partnerchor aus Potsdam dabei, den Nikolaichor unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Björn Otto Wiede. Dieser kommt aus der Partnerstadt Potsdam nach Bonn und wir werden gemeinsam in der Bonner Stiftskirche von Mendelssohn den Lobgesang "Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser" aufführen. Darauf freuen wir uns riesig.
Das Interview führte Hilde Regeniter.