Bräuche und Riten rund ums heiße Wetter

"Das Wissen ist bis heute lebendig"

Bevor das Wetter wissenschaftlich erklärt werden konnte, entwickelten die Menschen Bräuche und Riten, um Dürren abzuwehren. Einige davon reichen weit in die Vergangenheit zurück und beeinflussen uns noch heute.

 (DR)

DOMRADIO.DE: War es denn so, dass die Menschen versucht haben, zum Beispiel Unwetter mit religiösen Riten in Schach zu halten?

Manfred Becker-Huberti (Theologe und Brauchtumsforscher): Ich glaube nicht, dass man das auf eine Zeit beschränken kann, denn wir tun es heute noch. Wir sind uns dessen oft gar nicht bewusst. Wenn wir zum Beispiel die Bitttage absolvieren, dann tun wir nichts anderes, als dass wir den Himmel anflehen, er möge klimatische Verhältnisse herstellen, die uns die Ernte nicht gefährden. Das Wissen darum, dass das, was auf den Feldern wächst oder wachsen soll, abhängig von der Witterung ist, ist bis heute lebendig. Nur die Einseitigkeit, mit der man daran geglaubt hat, ist nicht mehr da.

DOMRADIO.DE: Heute haben wir noch die Bitttage, aber trotzdem vertrauen wir dem Wetterbericht, der wissenschaftlich erhoben wir. Wann hat sich die Sichtweise auf das Wetter verschoben?

Becker-Huberti: Die Wendemarke ist die Zeit um 1800. Das, was vorher gegolten hat, nennt man die vorwissenschaftliche Zeit, da waren Geister und Götter im Vordergrund, die für diese Dinge zuständig waren. Und wenn wir darüber lächeln müssen, weil wir das Ganze heute wissenschaftlich betrachten, dann darf ich nur daran erinnern, dass es viele Dinge gibt, die wir heute betreiben, die genau in dieser alten Tradition stehen.

DOMRADIO.DE: Zum Beispiel?

Becker-Huberti: Zum Beispiel wird hier am Niederrhein, wo ich lebe, durch das Köpfen eines Hahnes der Schützenkönig ermittelt. Und der Hahn stellt nicht die Franzosen dar, die man damit lächerlich machen wollte. Stattdessen ist der Hahn eine alte Opfergabe für den Genius Loci, den Feldgeist, der für ein bestimmtes Feld zuständig war. Und dem hat man dann, wenn das Feld abgeerntet wurde, ein Opfer dargebracht. Dafür, dass man ihm etwas genommen hat. Und heute opfern wir vielleicht nicht mehr den Hahn. Wenn Sie aber auf manche Felder blicken, die abgeerntet sind, dann stehen dort Strohballen, die Figuren symbolisieren, die die gleiche Aufgabe übernehmen.

DOMRADIO.DE: Die Übergänge sind also sehr fließend. Es gibt aber auch noch Bräuche, die länger zurückreichen, oder?

Becker-Huberti: So ist es. Die jetzige Zeit zwischen dem 23. Juli und 23. August wird oft Hundstage genannt. Und dieser alte Brauch ist aus ägyptischer Zeit von den Ägyptern über die Mittelmeerländer und über die Römer bis zu uns gekommen. Die Hundstage gelten als besonders gefährliche Zeit, weil in dieser Zeit die Sonne eine besondere Rolle spielt und viele Dürren herbeiführen kann. Aber auch Krankheiten, weil sie Menschen veranlasst, ins Wasser zu springen und dadurch zu ertrinken oder aber durch fehlendes Wasser zu verdursten. Dazu gehörte auch, dass man sich in dieser Zeit die Haare nicht wusch, weil man das Regenwasser für schädlich hielt. In Wasserleichen entdeckte man giftige Hundsköpfe – so bezeichnete man damals Kaulquappen. Man glaube, wenn man die schluckt, ist man vergiftet.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielte Gott für die Menschen, wenn es um das Wetter ging?

Becker-Huberti: Man muss verstehen, dass Hitze und Dürre nie als eine Erscheinung für bestimmte Landschaften festgestellt wurden – also nie für ganz Bayern oder ganz Schleswig-Holstein. Das hätte dazu geführt, dass man Lösungswege gesucht hätte, die anders als die sind, die man hatte.

Man hat das als Strafaktionen begriffen. Hitze Und Dürre waren etwas, das dem Gericht Gottes entsprach. Und gegen das konnte man sich nicht wehren. Man konnte nur um Milde bitten. Das hieß, es fanden Gottesdienste statt, es wurde vermehrt Rosenkranz gebetet und es gab Wallfahrten, die in diese Zeit hineingehörten. Man nahm die Dürre als gottgegeben, zumal man keine Möglichkeiten hatte, sich dagegen zu wehren.

DOMRADIO.DE: Gibt es spezielle Heilige gegen Dürre und Trockenheit?

Becker-Huberti: In dieser Form gibt es die nicht. Man hat aber örtliche Heilige genommen, die man dann anrief oder die man um Vermittlung bat. Im Ersatzfall war es aber immer die Gottesmutter, die für alle unlösbaren Fälle zuständig war.

DOMRADIO.DE: Das ist ja eigentlich ungewöhnlich, dass es bei einem so existenziell wichtigen Thema keinen Heiligen gibt.

Becker-Huberti: Das liegt daran, dass Dürre keine Erscheinung war, die durchgängig auftrat. Eine Dürre gab es mal alle zehn, 20 Jahre und dann nur in bestimmten Gegenden. So wie wir Dürre und Hitze gerade erleben, hat es das damals wohl kaum oder ausgesprochen selten gegeben, sodass es nie zu dieser Entwicklung gekommen ist.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Manfred Becker-Huberti / © Harald Oppitz (KNA)
Manfred Becker-Huberti / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR