Brasiliens Evangelikale entdecken den Gospel-Karneval

"Vor Freude hüpfen im Rhythmus des Glaubens"

Unter Brasiliens als sittenstreng geltenden Evangelikalen macht der Carnaval die Runde. Doch obwohl dabei auf Alkohol und Freizügigkeit verzichtet wird, wehren sich traditionelle Kirchen gegen die Öffnung zum Weltlichen.

Karneval in Rio erstmals mit religiösem Thema / © Florian Kopp (epd)
Karneval in Rio erstmals mit religiösem Thema / © Florian Kopp ( epd )

Zu rasend schnellen Trommelrhythmen hüpfen die Gläubigen auf und nieder, die Arme hoch gen Himmel gestreckt. Die "gesegneten Trommler" der Gruppe "Batucada abencoada" spielen bekannte Poplieder; darüber sind christlich inspirierte Texte gelegt. "Jesus macht mich gaaaanz verrückt" singt die Menge in der "Schneeballkirche" (Bola de Neve) im südbrasilianischen Guarulhos.

Immer häufiger vernimmt man in Gotteshäusern evangelikaler Gemeinschaften flotte Karnevalsrhythmen. Das ist neu. "Lange Zeit haben sich die Kirchen während des Karnevals in Zeltlagern versteckt", sagt Pastor Eric Vianna von der "Schneeballkirche". Man wollte den Jugendlichen eine Alternative zu der verwerflichen Anarchie des Carnavals bieten.

Dutzende christliche Karnevalsgruppen

"Doch irgendwie fanden wir es dann egoistisch von uns, die Freude an Gott weit weg von dem bunten Treiben der anderen zu feiern." Man beschloss, als Kirche aktiv in den Carnaval einzusteigen. Nun trommelt man am überlaufenen Strand von Santos. Passend - wurde die "Schneeballkirche" doch einst von evangelikalen Surfern gegründet. "Jesus ist meine Freude" steht auf ihren T-Shirts, und gern lädt man die Sonnenbadenden zwischen den Liedern zu spontanen Gebeten ein.

In den Karnevalshochburgen Rio de Janeiro und Sao Paulo sind längst Dutzende "christliche Karnevalsgruppen" unterwegs; einige katholisch, die meisten evangelikal. Man verzichtet auf Alkohol und Schlager mit doppeldeutigen Botschaften. Stattdessen lobpreist man Gott zu unterschiedlichsten Rhythmen.

"Kritische Akzeptanz"

Und auch anderswo wächst der "Carnaval Gospel", wie die evangelikale Öffnung zum Karneval genannt wird. Die Stadt Palmas am südlichen Rand der Amazonasregion erklärt sich während der verrückten Tage zur "Hauptstadt des Glaubens". Von Rock über Country bis zum Samba ist alles vertreten. Das Motto lautet "Vor Freude hüpfen im Rhythmus des Glaubens". Dieses Jahr will man hier an den fünf Tagen die Marke von 200.000 Besuchern knacken - alkoholfrei. 

Auch Brasiliens katholische Kirche hat stets Exzesse mit Alkohol und sexueller Freizügigkeit während der verrückten Tage verurteilt; gleichzeitig gab es aber oft eine "kritische Akzeptanz", so Francisco Borba Neto, Religionswissenschaftler an der katholischen Universität Sao Paulo. "Der Kurs hing stets von den jeweiligen Kirchenvertretern vor Ort ab."

"Spirituelle Schäden"

Ähnliches geschieht nun auch im evangelikalen Lager, dem heute bereits etwa jeder vierte Brasilianer angehört. In der nordostbrasilianischen Hochburg Olinda sollte parallel zum offiziellen Carnaval eine Gospel-Variante stattfinden. Doch der Event wurde nach Intervention evangelikaler Abgeordneter abgesagt, die "spirituelle Schäden" für die Gläubigen befürchteten.

"Während das evangelikale Christentum wächst, durchläuft es eine ähnliche Aufspaltung in progressivere und konservativere Gruppen wie einst der lateinamerikanische Katholizismus", urteilt der Religionswissenschaftler Borba Neto. Die Diversität des evangelikalen Lagers werde allmählich sichtbar.

"Jesus macht mich gaaaanz verrückt"

"Die Evangelikalen in der armen Peripherie der Großstädte suchen eher nach moralischer Strenge, um ihre Familien vor Bedrohungen wie Alkohol, Drogen, Verbrechen und Prostitution zu schützen", so Borba Neto. Die evangelikalen urbanen Jugendbewegungen seien dagegen stets aufgeschlossener für Musik und Feiern gewesen. Da heißt es dann eben: "Jesus macht mich gaaaanz verrückt".


Quelle:
KNA