Seyran Ates verteidigt Berliner Neutralitätsgesetz

"Brauchen ehrliche Diskussion über Kopftuch-Motive"

Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen hat eine Novellierung des Berliner Neutralitätsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode angekündigt. Lehrerinnen und Lehrern solle das Tragen religiöser Kleidung an Schulen erlaubt werden. 

Autor/in:
Karin Wollschläger
Kopftuch in der Schule / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Kopftuch in der Schule / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

Die prominente Rechtsanwältin und liberale Moschee-Gründerin Seyran Ates vertrat das Land Berlin mehrfach vor Gericht, wenn gegen das pauschale Kopftuch-Verbot des Landes geklagt wurde. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit ihr am Dienstag in Berlin über den nun von Behrendt angekündigten Kurswechsel.

KNA: Frau Ates, hat Sie die Ankündigung von Justizsenator Behrendt überrascht?

Seyran Ates (Rechtsanwältin und Moscheegründerin): Es hat mich sehr überrascht, dass das Thema - ohne Not - wieder aufgeworfen wurde. Der Justizsenator scheint da eine Obsession zu haben. Zum anderen muss man es wohl schon als Wahlkampf sehen. Im September ist die nächste Wahl zum Abgeordnetenhaus. Und gerade die Berliner Grünen haben sich in den vergangenen Jahren ja immer stärker mit konservativen Muslimen verbündet, und da gehört halt das Thema Kopftuch für Lehrerinnen dazu.

KNA: Aber ist die Novellierung nicht längst überfällig? Zuletzt hatte sich Ende August auch das Bundesarbeitsgericht gegen ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an Berliner Schulen ausgesprochen, weil es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit darstelle.

Ates: Das stimmt so nicht. Das Gericht hat sich nicht dagegen ausgesprochen. Es hat auch nicht gesagt, dass es ein unverhältnismäßiger Eingriff wäre. Das schriftliche Urteil samt Begründung liegt ja noch nicht vor. Das müssen wir abwarten. Im Verfahren hat das Gericht aber durchaus gesagt, dass das Berliner Neutralitätsgesetz an sich von der Idee her grundsätzlich in Ordnung und mit der Verfassung vereinbar ist. Was reformiert werden muss, ist die Formulierung in Bezug auf die Ausnahmen. Das Bundesarbeitsgericht hat einen Weg gefunden, eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen. Wir müssen die Urteilsbegründung abwarten. Was Sie aber wissen sollten ist, das Bundesarbeitsgericht hat das Neutralitätsgesetz nicht für verfassungswidrig erklärt. Es gilt immer noch.

KNA: Aber das Gericht hat den Anspruch der klagenden muslimischen Lehramtsbewerberin auf Schadensersatz wegen Benachteiligung bestätigt.

Ates: Das Gesetz ist laut Bundesarbeitsgericht nicht kohärent, sprich in sich nicht eindeutig genug. Dabei geht es um die Ausnahme, dass an beruflichen Schulen und Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs Kopftücher zugelassen sind. Juristisch wurde die Frage nach der verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes diskutiert. Und da sah das Gesetz zu viel Raum zur Interpretation im Berliner Neutralitätsgesetz. Das Problem in der öffentlichen Diskussion sind meiner Ansicht nach die parallelen Diskussionsebenen: Auf der einen Seite die juristische Formulierung von Verfassungskonformität, auf der anderen Seite die politische Diskussion ums Kopftuch. Da kommt es schnell zu Vermengungen.

KNA: Was spricht denn dagegen, dass Lehrerinnen an staatlichen Schulen ein Kopftuch tragen?

Ates: Die Sache ist komplex. Ich denke, wir brauchen endlich eine ehrliche Diskussion über die Motive für das Tragen. Es gibt keine eindeutige theologische Grundlage für das muslimische Kopftuch. Mehrheitlich wird argumentiert, dass die Frau ihre sexuellen Reize in der Öffentlichkeit verbergen soll, damit der Mann nicht dadurch abgelenkt wird. Sprich: Die Frau wird auf ein Sexualobjekt reduziert. Eine Frau, die das Kopftuch trägt, weiß das, übernimmt diese Wertung bewusst und ordnet sich dieser Herabwürdigung unter. Eine Lehrerin mit Kopftuch transportiert damit immer die Botschaft: "Ich trage ein Kopftuch, damit Männer nicht von meiner Schönheit sexuell gereizt sind." Zudem wird ausgeblendet, dass diejenigen, die dazu gezwungen werden, sich zu verhüllen, ein viel kleinere Lobby haben. Diese Mädchen und Frauen können sich nur unter Lebensgefahr offenbaren.

KNA: Das «Problem» besteht ja in allen Bereichen, wo Menschen den Staat öffentlich repräsentieren und im Namen des Gesetzes auftreten.

Ates: Ja. Es geht immer auch darum, nach außen darzustellen, dass der Staat sich von religiösen Symbolen und Weltanschauungen so weit es geht fernhält. Wohlgemerkt nicht im Sinne von Distanzierung, dass er etwas ablehnt oder bewertet. Deshalb ist das Neutralitätsgesetz - das wird gerne übergangen - auch ein Gesetz, das alle Religionen und Weltanschauungen betrifft. Ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gottlos glücklich" ist ebenfalls davon betroffen.

KNA: Wie konkret die Novellierung des Gesetzes aussehen soll, steht ja noch nicht fest. Was ist denn aus Ihrer Sicht nicht verhandelbar?

Ates: Das Neutralitätsgesetz an sich. Es ist ein sehr gutes Gesetz für diese multikulturelle, multireligiöse und multiethnische Stadt Berlin. Wenn man sich die vielen Sorgen und Probleme an vielen Schulen, nicht nur in Brennpunkten, mal ehrlich anschaut, dann kann man gar nicht umhin zu sagen: Wir brauchen weniger religiöse Aufladung als mehr. Wohlgemerkt: Die Religionen und Weltanschauungen benötigen wir für den Wissensvermittlungsunterricht. Da will ich nicht weniger, sondern mehr an den Schulen, viel mehr. Damit die Kinder eine Bandbreite an Wissen erlangen und Vorurteile abbauen. Aber das kann eine Lehrerin mit Kopftuch nicht, denn sie kann niemals sagen: "Es ist auch in Ordnung, wenn du kein Kopftuch trägst." Nonverbal signalisiert sie immer, dass das Kopftuch die korrekte Kleidung ist.

KNA: Aber warum nicht? Sie kann doch sagen, dass das Kopftuch nur eine Entscheidung ist, die sie für sich getroffen hat, andere aber andere Entscheidungen treffen können.

Ates: Das müsste sie dann aber immer dezidiert erklären. In dieser Debatte kommt immer das Argument, aber sie könnte es doch freiwillig tragen. Ja - aber das ändert nichts an dem Motiv, weswegen sie es trägt, nämlich um ihre sexuellen Reize nicht den Männern zur Schau zu stellen. Das mag ihre Überzeugung sein. Wir haben aber Erwartungen an Lehrerinnen und Lehrer, dass sie auch charakterlich und von ihrer Haltung her in der Lage sind, Objektivität und Neutralität zu vermitteln - und das kann eine Kopftuch tragende Lehrerin niemals, weil sie sich an einer Stelle klipp und klar entschieden hat: fürs Patriarchat und sich als Sexualobjekt zu sehen.


Quelle:
KNA