DOMRADIO.DE: Was hat die Heilige Familie noch mit den Familien von heute zu tun?
Manfred Becker-Huberti (Theologe und Brauchtumsforscher): Nun, stellen sich einen älteren Witwer vor, der plötzlich ein junges Mädchen angehangen bekommt und dann auch noch als seine Braut. Von ihr weiß er eigentlich nichts und um sie muss er sich nun kümmern. Er stellt dann sehr schnell fest: Das Mädchen ist schwanger und zwar nicht von ihm. Das ist etwas, was in heutiger Zeit schon eine Katastrophe wäre. Vor 2.000 Jahren war das eine gewaltige Katastrophe.
Dieser Mann lässt das Mädchen nicht sitzen, sondern er geht mit ihr. Er lässt sie nicht alleine, er begleitet sie, er ist bei der Geburt dabei. Nach Auffassung der Menschen damals, muss er durchaus unter der Situation gelitten haben. In der Geburtsszene ist er in den ersten Jahrhunderten immer als der Mann am Rande dargestellt. Also eher ein alter Knabe, der am Rande sitzt und vor sich hin grummelt. Später darf er ein Süppchen kochen oder auch seine Strumpfhosen hergeben, um die Windeln für das Jesuskind bereitzustellen.
DOMRADIO.DE: Inwiefern kann die Heilige Familie heute noch ein Vorbild sein?
Becker-Huberti: Die Heilige Familie ist das Ideal einer Familie. Wie gerade schon gesagt, Josef ist nie im Zentrum des Geschehens. Und dazu passt, dass in der Bibel kein einziges Wort von ihm überliefert worden ist. Es gibt keinen Satz, der auf ihn hinweist. Trotzdem hat sich die Volksfrömmigkeit dieser Person angenommen und versucht, ein Bild von ihm zu malen. Er ist also derjenige, der dem Kind Handwerk beibringt, den Umgang mit Holz. Er integriert sich und ist religiös ein Vorbild. Er geht mit seiner Familie nach Jerusalem und erfüllt seine religiösen Pflichten. Das ist schon etwas, was Einsatz verlangt und was sich über das Gerede der Nachbarn hinwegsetzt. Das ist sicherlich ein Vorbild für uns.
Das 19. Jahrhundert hat diesen Josef wieder in die Mitte gestellt, der jahrhundertelang keine Rolle spielte. Es gibt die Heilige Familie auf horizontaler Ebene, also Josef, Maria und Jesus. Und es gibt diese Heilige Familie in vertikaler Richtung: Gottvater, der Heilige Geist und Jesus. Sie treffen sich in der Person des Jesus und dieser Jesus ist Mensch und Gott zugleich. Die Heilige Familie ist deshalb eine besondere, sie ist ein Vorbild. Sie ist Vorbild für alle christlichen Familien und so ist das auch immer wieder gesehen worden.
DOMRADIO.DE: Die Heilige Familie hatte durchaus große Herausforderungen durchzustehen. Wie merkt man da auch ein mutiges Handeln?
Becker-Huberti: Dieser Josef ist bereit zu hören und zwar auf das Wort Gottes oder das Wort der Engel. Die Engel, die ihn im Traum auffordern mit seiner Familie nach Ägypten zu fliehen, nimmt er ernst. Er steht auf, packt seine Familie mit allem zusammen und flieht mit ihnen nach Ägypten. Er vermeidet so, dass Jesus durch die Häscher des Herodes erschlagen wird.
Das sind schon Dinge, die sagen wir mal, eine Rolle spielen: Ob ich bereit bin wirklich auf etwas zu hören, was jetzt nicht vordergründig für jedermann erfahrbar war. Das ist etwas, was wir heute vielleicht als Eingebung bezeichnen würden, als eine übersinnliche Wahrnehmung. Josef lässt sich darauf ein und führt es dann auch aus, und es stellt sich als richtig heraus. Das sind Dinge, die uns manchmal fehlen, weil wir etwas oberflächlicher in diesen Angelegenheiten sind.
DOMRADIO.DE: Wie würden Sie Mut in diesem Kontext definieren?
Becker-Huberti: Mut ist ein altes Wort. Im Mittelalterlichen hieß das "Muot“. Und dieser "Muot" besteht daraus, dass es um Risiko geht und um die Bewältigung von Risiko. Risiken kann man in drei Arten bewältigen. Die erste Art ist die bekannteste, man läuft davor weg. Die zweite ist die dumme, indem man sich blindwütig darauf einlässt und nicht weiß, was eigentlich passiert. Und die dritte, das ist die kluge Art. Nämlich die mutige Art, das Risiko zu kalkulieren und damit dann das Risiko zu minimieren und zu bewältigen.
DOMRADIO.DE: Wir haben schon über Josef gesprochen. Welche Rolle spielte Maria in der Heiligen Familie?
Becker-Huberti: Maria ist eine Mutter, die sich um ihr Kind kümmert und sich sorgt. Sie leidet mit dem Kind. Nicht ohne Grund wird Maria oft mit den sieben Schwertern im Herzen dargestellt. Das soll eben genau dieses versinnbildlichen. Es ist eine Mutterliebe, die bei ihrem Sohn durchaus auf Grenzen stößt. Er sagt ihr irgendwann, wer seine wirkliche Mutter ist. Das ist eben nicht die leibliche Mutter allein. Er weist sie also ein ganzes Stück zurück. Das nimmt sie hin, nimmt sie wahr und ordnet es ein - ohne ihren Sohn zu verfluchen.
Maria ist eine ganz besondere Frau und sie ist die erste Christin. Sie ist Vorbild für alle anderen Christen, im Umgang mit Christus. Das wichtigste Wort, was sie weitergibt fällt beim Weinwunder von Kanaa: "Was er euch sagt, das tut". Das ist ihre Funktion - nämlich auf diesen Sohn hinzuweisen, der etwas sehr viel Größeres ist, als sie selbst. Für den sie aber der Hort und der Quell war, aus dem dieses Kind geboren wurde.
Das Gespräch führte Christoph Paul Hartmann.