Buch über Kirche im Nationalsozialismus vorgestellt

Zwischen Widerstand und Unterstützung

Historiker haben die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus beispielhaft am Bistum Aachen beleuchtet. In ihrem Buch wird klar: Es gibt viele Grautöne.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Ein Kreuz auf einem aufgeschlagenen Buch / © RHJPhtotos (shutterstock)
Ein Kreuz auf einem aufgeschlagenen Buch / © RHJPhtotos ( shutterstock )

Die Windeln des Jesuskindes und ein Kleid der Gottesmutter Maria - seit 1349 verehren Pilgerinnen und Pilger alle sieben Jahre in Aachen vier Textilien, denen die katholische Kirche eine religiöse Bedeutung zuschreibt. Die Anziehungskraft der Tuchreliquien war selbst in politisch kirchenfeindlichen Phasen groß:

1937 strömten rund eine Million Menschen nach Aachen, obwohl die Nazis ihnen Steine in den Weg legten. Zunächst zugesagte Sonderzüge wurden gestrichen und SS-Männer behinderten einzelne Predigten und Prozessionen. Die Zusammenkunft war ein Dorn im Auge des Regimes, auch weil es politische Kritik durch Geistliche fürchtete.

Die Heiligtumsfahrt 1937 ist eines von 30 Kapiteln in dem am Freitag vorgestellten Buch "Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus".

Einzelschicksale werden vorgestellt

Historiker: Mindestens 40 Aachener Priester waren Nazi-Spitzel

Offenbar haben mehr als 40 katholische Priester während der NS-Zeit als Spitzel für die Gestapo gearbeitet. Diese Einschätzung treffen die Historiker Helmut Rönz und Keywan Klaus Münster vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) in dem Buch "Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus", das am Freitag vorgestellt wurde. In der Gemeinschaftspublikation mit dem Aachener Diözesanarchiv beschreiben sie unter anderem den Werdegang von Kaplan Heinrich Prinz. Ab Mai 1940 war er laut Recherchen der Historiker unter dem Decknamen "Cornelius" als V-Mann für die Gestapo tätig.

Aachener Dom / © Julia Steinbrecht (KNA)
Aachener Dom / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Diözesanarchiv und Landschaftsverband Rheinland (LVR) stellen darin 19 Personen sowie 11 Ereignisse in Deutschlands westlicher Diözese während der NS-Zeit vor. Die Geschichten bewegen sich zwischen Widerstand und Unterstützung, Anpassung und Überzeugung.

Da ist zum Beispiel der Sievernicher Pfarrer Alexander Heinrich Alef, der seinen Schülern im Religionsunterricht den Hitlergruß verbot und die Kinder seiner Gemeinde aufforderte, den Gottesdienst und nicht die Hitlerjugend zu besuchen. 1944 nahm ihn die Gestapo fest. Er starb 1945 im KZ Dachau.

Vor seiner Inhaftierung hatte der Pfarrer im Kloster Niederau Unterschlupf gefunden. Seinen Aufenthaltsort verriet ein Mitbruder: Kaplan Heinrich Prinz. Ab Mai 1940 war er unter dem Decknamen "Cornelius" als V-Mann für die Gestapo tätig. Für seine Dienste erhielt der Priester 50 Reichsmark pro Monat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Pfarrer in Eschweiler und Heinsberg und starb 1978. "Die Kirche vor Ort wusste nichts von Prinz' Vergangenheit", schreibt Historiker Helmut Rönz vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte. "Nach unserer Schätzung haben mindestens 40 Priester des Bistums Aachen im Dienst der Gestapo gestanden und kirchliche Institutionen und Personen bespitzelt."

In Zusammenarbeit mit dem Diözesanarchiv hat Rönz mit seinem Kollegen Keywan Klaus Münster Dokumente aus der NS-Zeit ausgewertet.

Unterschiedlicher Umgang mit dem Unrecht

Entstanden ist neben einer Ausstellung das nun vorgestellte Buch, in dem es nicht nur um Geistliche geht. Die Historiker schreiben unter anderen über den Mechernicher Bäcker Andreas Girkens und den Aachener Polizeipräsidenten Carl Zenner.

Obwohl beide katholisch aufwuchsen, könnte ihr Lebenslauf kaum unterschiedlicher sein: Während sich Bäcker Girkens für seine jüdischen Nachbarn einsetzte, als "Judenknecht" beschimpft wurde und 1944 in der Kölner Außenstelle des KZ Buchenwald starb, führte Polizeichef Zenner in Aachen die Novemberpogrome 1938 mit an und verantwortete später in Weißrussland die Ermordung von rund 6.000 Juden.

Dennoch bezeichnete sich Zenner selbst als gläubig. Die Benediktinerabtei Maria Laach schützte er vor dem Zugriff der Nazis; er hatte 1933 in der Abteikirche geheiratet. "Maria Laach blieb die einzige Benediktinerabtei der Rheinprovinz, die nicht aufgelöst wurde", notieren Rönz und Münster.

Keine Bewertungen im Buch

Zwischen den beiden Polen Kritik und Beschwichtigung bewegen sich die Aachener Bischöfe Joseph Vogt und Johannes Joseph van der Velden. Vor allem Vogt, der das Bistum Aachen ab 1931 neu aufbaute, habe sich häufig passiv verhalten, so die Historiker. Später äußerte er aber auch Unmut über das Regime. Van der Velden geriet schon vor seiner Berufung zum Bischof in Konflikt mit den Nazis. Als er den Volksverein für das katholische Deutschland leitete, veröffentlichte die Organisation ein Flugblatt mit dem Ausruf "Nur wer den Verstand verloren hat, kann als Katholik Nationalsozialist sein".

In ihrem Buch geht es den Historikern um die "Grautöne der Geschichte". Knapp und klar schildern Rönz und Münster Lebensläufe und Ereignisse, ohne dabei in Bewertungen abzuschweifen: Weder ist die Gruppe der Katholikinnen und Katholiken vollkommen gut noch vollkommen böse. So beleuchtet "Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus" wohltuend sachlich ein Stück Kirchengeschichte.

Quelle:
KNA