Ihre Berichte handeln von Angst und Diskriminierung, von Ausgrenzung und Verstecken. Quasi als Begleitband zu der zunächst vor allem im Fernsehen präsenten Initiative #OutInChurch ist nun im Herder-Verlag ein Buch erschienen.
Auf rund 250 Seiten befassen sich 50 Autorinnen und Autoren mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität in der katholischen Kirche - drei Monate, nachdem sich 125 Menschen in einer bundesweiten Aktion öffentlich als queer und somit einer sexuellen Minderheit angehörend zu erkennen gegeben haben.
Persönliche Statements und theologische Einordnungen
Von vielfältigen Problemen berichten Priester und Ordensleute sowie Mitarbeitende im Pastoral- und Bildungsdienst. Es geht dabei längst nicht nur um arbeitsrechtliche Konsequenzen, die queere Menschen im Dienst der katholischen Kirche befürchten müssen.
So schreibt jemand, dessen eigenes Geschlechtsempfinden nicht mit dem von außen zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmt, in einem anonymen Text: "Den eigenen Namen zu verstecken, bedeutet im theologischen Sinn, mich als Person zu verstecken, keinen Anspruch auf mich zu haben, auf mich selbst zu verzichten, sogar nicht zu existieren."
Neben den persönlichen Statements sind vor allem die theologischen Einordnungen interessant. So skizzieren etwa die Theologen Georg Bier und Bernhard Sven Anuth die kirchenrechtliche Situation queerer katholischer Menschen.
Anuth schlussfolgert: Das "strikt heteronormative Menschenbild" des Lehramts - also jenes Verständnis, dass es einzig Mann und Frau gibt, die sich romantisch aufeinander beziehen und das Geschlecht von Geburt an anhand eindeutiger Geschlechtsmerkmale bestimmt werden kann - lasse eine positive Würdigung anderer Geschlechtsidentitäten nicht zu: "Indem sich die Kirche für dieses Menschenbild amtlich auf die Offenbarung und Gott selbst beruft, markiert sie es als irreformabel und macht sich immun gegen Kritik."
Plädoyer für "Neujustierung der katholischen Ethik"
Die in Chicago lehrende deutsche Ethikerin Hille Haker plädiert dahingehend für eine "Neujustierung der katholischen Ethik": Die Mahnung zur moralischen Scham solle eher denjenigen gelten, die sich "an der Demütigung von Menschen beteiligten, als denjenigen, die beschämt und ausgeschlossen werden".
Von der Macht der "Erzählgemeinschaften" spricht die Regensburger Pastoraltheologin Ute Leimgruber mit Blick auf die Initiative. "Die lange verborgenen Missstände können angesichts der Wucht der Zeugnisgemeinschaft nicht länger als nicht existent oder als Einzelfälle betrachtet und behandelt werden."
Zugleich verdeutlicht sie die zwiegespaltene Situation von queeren Menschen: Ihre Unsichtbarkeit schütze sie vor Hass und Diskriminierung, sie verheimlichten damit aber auch "sich selbst". Sichtbarkeit hingegen mache auf vielen Ebenen angreifbar und könne zusätzlich dazu führen, dass Menschen in eine "exponierte Position" gebracht werden, in der sie "als paradigmatische*r Vertreter*in dieser Gruppe fungieren".
In eine ähnliche Richtung argumentiert die Bochumer Dogmatikerin Gunda Werner. Die Initiative sei eine Versammlung von Menschen innerhalb der katholischen Kirche, die wegen vorherrschender Normen sonst nicht gesehen werden und die nun "gelebtes Leben und Lieben" zeigten, "einfach, indem sie da sind". Damit werde eine wahrnehmbare Realität geschaffen, hinter die nicht zurückgegangen werden könne.
#OutInChurch macht kirchliche Tabus sichtbar
Einen "Zusammenbruch des katholischen Sexualitätsdispositivs" - also der Vorgaben im Bereich der Sexualmoral - konstatiert der Tübinger Pastoraltheologe Michael Schüßler. Katholische Kirche und Theologie hätten spätestens mit dem Missbrauchsskandal "jegliches Recht einer normativen Rede über die gelebte Sexualität anderer Menschen verloren". Den Einwand, sexuelle Vielfalt sei ein Thema des westlichen Nordens, das der globale Süden so nicht kenne, kritisiert er als "neokolonial".
"#OutInChurch macht die Wahrheit einer Wirklichkeit sichtbar, die kirchlich tabuisiert ist, um die aber alle wissen", resümiert Schüßler. Das Buch macht deutlich: Wie Kirche und Theologie mit den Erkenntnissen anderer Wissenschaftszweige - und mit der gelebten gesellschaftlichen Realität - beim Thema Sexualität und Identität umgeht, ist ein offener Prozess, der sie nachhaltig verändern könnte.