Buchprojekt blickt auf Weihnachten in der Kirchenkrise

"Keineswegs weniger freudig"

Kann man sich in der heutigen Kirche noch auf Weihnachten freuen? Dieser Frage geht das Buch "Weihnachten kann erst werden, wenn…." nach. Herausgeberin Franca Spies sieht in der Fragestellung eine Bereicherung des Weihnachtsfestes.

Jesuskind Krippenfigur / © Cristian Gennari (KNA)
Jesuskind Krippenfigur / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wer Ihr Buch kritisch sieht, würde fragen: Wollen Sie uns Weihnachten vermiesen? 

Dr. Franca Spies (HERDER)
Dr. Franca Spies / ( HERDER )

Franca Spies (Theologin und Mitherausgeberin des Buches "Weihnachten kann erst werden, wenn..."): So würde ich es ganz bestimmt nicht sagen. Sogar ganz anders. Ich würde sagen, wir wollen eigentlich Weihnachten ein bisschen bereichern. Wenn wir an Weihnachten gerade die Freude darüber feiern, dass wir es in unserem Glauben mit einem so menschenfreundlichen und so lebensbejahenden Gott zu tun haben, der nicht einmal davor zurückschreckt, am letzten Winkel der Welt, in einem ungeschützten Säugling selbst Mensch zu werden, dann müssen wir uns eben auch fragen: Wie kann denn diese Freude bei allen ankommen? Das ist ein Beitrag, den wir mit unserem Buch gerne leisten möchten.

Wir wollen gerade die Erfahrungen thematisieren, die dieser ungebremsten Freude im Wege stehen und schauen, ob wir diese Erfahrungen an Weihnachten einfach ausklammern und irgendwo in eine Kiste packen müssen und nach Weihnachten dürfen sie wieder rauskommen. Oder ob nicht gerade diese Erfahrungen uns dabei helfen können und müssen, dieses Fest der Menschwerdung Gottes noch etwas besser zu verstehen, etwas tiefer zu verstehen und insofern etwas reicher zu verstehen, deswegen aber keineswegs weniger freudig. 

Franca Spies, Theologin

"Wir wollen gerade die Erfahrungen thematisieren, die dieser ungebremsten Freude im Wege stehen."

DOMRADIO.DE: Das Ganze geht zurück auf eine Reihe auf der Onlineplattform y-nachten.de. Die Plattform haben Sie damals als Studentin mitbegründet. Worum geht es auf der Plattform und was hat das mit den Geschichten in diesem Buch zu tun? 

Informationen zum Buch

y-nachten.de (Hg.)

Weihnachten kann erst werden, wenn... Wie die Nacht wieder heilig wird

Herder Verlag

1. Auflage 2022, Gebunden, 192 Seiten, ISBN: 978-3-451-39540-6

 

Puristische Holzkrippe / © sjarrell (shutterstock)

Spies: Die Plattform ist im Prinzip ein Onlinemagazin, das sich schwerpunktmäßig mit theologischen und kirchlichen Fragen beschäftigt, sozusagen im Spannungsfeld Theologie, Kirche, Religion, aber natürlich auch mit einem starken gesellschaftlichen Fokus. Wir wollten eben gerade - deswegen kommt das 'Y' in den Namen - der Generation Y, also vor allem der jungen Theologie, damit eine Stimme verleihen.

Wir wollten eine Plattform für die Stimmen bieten, die vielleicht sonst nicht so in den öffentlichen Debatten über Theologie und Kirche vorkommen. Dann haben wir die Plattform eben auch noch zu Weihnachten gegründet und wollten damit auch eine weihnachtliche Perspektive auf die Theologie bieten. Also gerade dieses inkarnatorische Moment stark machen und fragen: Wie kann denn aus der gegenwärtigen Welt wirklich ein Weg in die Zukunft für die Theologie gehen? Und was haben gerade junge Theolog:innen dazu beizutragen? 

DOMRADIO.DE: Sie haben die Reihe in ihrem Online-Magazin als Ausgangspunkt für Ihr Buch "Weihnachten kann erst werden, wenn" genommen und dort auch noch mehr Stimmen von jungen Leuten aus der Kirche gesammelt, zum Beispiel auch von Delegierten des Synodalen Wegs. Was sind das für Leute, was sind das für Geschichten, die man da findet? 

Spies: Wenn man in das Verzeichnis der Autor:innen schaut, wird man feststellen, dass es sehr viel jünger und sehr viel diverser ist, als man das vielleicht sonst von theologischen Büchern gewohnt ist. Es versucht noch mal der Theologie, jetzt auch der Weihnachtsteologie, einen kleinen kritischen Twist zu geben und noch mal zu schauen, wie wir angesichts gegenwärtiger Herausforderungen das Weihnachtsfest wirklich verstehen können.

Franca Spies, Theologin

"Wie kann denn aus der gegenwärtigen Welt wirklich ein Weg in die Zukunft für die Theologie gehen? Und was haben gerade junge Theolog:innen dazu beizutragen?"

Wir haben das dann auf das Thema des Machtmissbrauchs in der Kirche fokussiert und gefragt, wie diese Erfahrungen, die eigentlich einer Freude über die Inkarnation im Wege stehen, uns helfen können, das Weihnachtsfest noch ein bisschen besser zu verstehen?

So haben wir ein ganzes Spektrum an Themen bearbeitet, von spirituellem und sexuellem Missbrauch über die Fragen von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in der Kirche. Wir haben Rassismus-kritische Texte und wir haben auch Delegierte des Synodalen Weg, die noch einmal ganz spezifisch die Frage von Macht und Weihnachten miteinander ins Gespräch bringen. 

DOMRADIO.DE: Können Sie einen Impuls herausgreifen, der Sie besonders berührt hat. 

Spies: Es sind ganz verschiedene Motive, die bei mir auch in der vorweihnachtlichen Zeit immer wieder hochkommen.

Wenn ich mich jetzt auf eine Sache konzentrieren muss, dann wäre es vielleicht der Text von Johanna Beck, die verschiedene Missstände benennt und dann fragt, ob es unter diesen Umständen überhaupt Weihnachten werden kann. Sie antwortet mit: Es kann nicht nur, es muss sogar Weihnachten werden. Und zwar gerade, weil wir an Weihnachten nicht die Gewalt feiern, sondern die Macht der Gewaltlosigkeit.

Das finde ich ein unheimlich starken Impuls, der in so viele Richtungen weitergedacht und weitergelebt werden kann. 

Franca Spies, Theologin

"Weihnachten kann erst werden, wenn wir uns am Schönen freuen können, ohne Dinge schönreden zu müssen."

DOMRADIO.DE: Der Titel des Buches lautet: "Weihnachten kann erst werden, wenn...". Führen Sie doch den Satz einmal zu Ende. Was muss passieren? Wann kann es Weihnachten werden?

Spies: Weihnachten kann erst werden, wenn wir uns am Schönen freuen können, ohne Dinge schönreden zu müssen. Weihnachten kann werden, wenn wir bereit sind, alle Erfahrungen des Menschlichen in der Menschwerdung mitzufeiern und nicht bestimmte Dinge ausklammern. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle:
DR