Bürgergeld-Bingo zeigt den täglichen Geld-Mangel

"Ein bitteres Spiel"

Insgesamt stehen einem Bürgergeld-Empfänger 502 Euro zur Verfügung, wovon Lebensmittel, Telefon, Strom und vieles andere bezahlt werden muss. Die Diakonie zeigt in einer Art Bürgergeld-Bingo, wie knapp die Ausgaben kalkuliert sind.

Bürgergeld-Bingo / © Heike Lyding (epd)
Bürgergeld-Bingo / © Heike Lyding ( epd )

DOMRADIO.DE: Gewinnen kann ich beim Bürgergeld-Bingo nichts, außer Erkenntnis?

Gudrun Nolte (Vorsitzende des Evangelischen Vereins Kirche Wirtschaft Arbeitswelt): Ja, das Bürgergeld-Bingo ist eher ein bitteres Spiel, das auch ein bisschen mehr für Empathie und Faktenwissen in der breiteren Bevölkerung sorgen soll. Sie gewinnen, wenn es Ihnen gelingt, dass Sie alles so verteilen, dass Sie in der Mitte dann nicht im Minus und nicht im Plus stehen, dass Sie alle zwölf Bereiche gut aufgeteilt haben. Es gibt ja gewisse Vorgaben, Ideen, was man da eintragen kann. Zum Beispiel müssen Sie mit 174 Euro im Monat für Lebensmittel auskommen, das sind 5,80 Euro pro Tag.

DOMRADIO.DE: Kann man mit 5 bis 6 Euro für Essen über die Runden kommen?

Gudrun Nolte

"Damit bekommt man nicht mal das Deutschland-Ticket."

Nolte: Es ist eben ein täglicher Kampf, der nicht nur einen Monat oder zwei Monate so geht, sondern ja häufig über viele Monate oder auch Jahre. Deshalb ist es für Menschen, die von Armut betroffen sind, wirklich nicht schön, zu einer Zielscheibe zu werden, die in der Öffentlichkeit eher als anonyme oder schwer zu bewegende Masse wahrgenommen wird. Sondern es sind konkrete Menschen: Familien, Kinder, Erwerbstätige, ... die täglich ums Überleben kämpfen müssen, weil sie wirklich jeden Cent umdrehen müssen. Versuchen Sie mal, die zwölf Bereiche beim Bürgergeld-Bingo so zu füllen. Für Mobilität zum Beispiel bleiben nur 45 Euro übrig. Damit bekommt man nicht mal das Deutschland-Ticket. Oder Bildung: 2 Euro. Dafür kriege ich kein Buch und keine Zeitung.

DOMRADIO.DE: Andere Bereiche sind Bekleidung, Kommunikation, Freizeit, Bildung, Gastronomie und sonstiges und eben auch Alkohol und Tabak. Wie viel ist denn da vorgesehen in diesem Bürgergeld zum Beispiel für Gastronomie, also wenn die Menschen auch mal essen gehen wollen?

Nolte: 13 Euro im Monat.

DOMRADIO.DE: Damit kommt man nicht besonders weit...

Nolte: Und für Alkohol und Tabak sind 0 Euro vorgesehen. Wohnen und Energie werden mit 42 Euro veranschlagt, und davon müssen die Stromkosten bezahlt werden.

DOMRADIO.DE: Wie kann dieses Spiel, dieses Bürgergeld-Bingo, dazu beitragen, bestimmte Missverständnisse oder Vorurteile auszuräumen?

Nolte: Wir hoffen, dass es für mehr Empathie und aber auch für dieses Faktenwissen sorgt, dass man sich mal genau klarmacht – wie komme ich damit eigentlich in einem Monat rum? Und wir haben momentan viele Zugriffe auf das Spiel, was uns wirklich total freut. Aber der Bedarf ist, noch mehr Informationen an alle Beteiligten zu bringen, damit sie sozusagen auch mitbekommen, was es für Armuts-Erfahrungen bedeutet, wenn Menschen auf Dauer mit diesem Geld so leben müssen, dass sie nicht mehr frei entscheiden können, wie sie jetzt ihr Geld verteilen. Damit sie vielleicht eine neue Hose kaufen können. Das ist ja da alles gar nicht vorgesehen, sondern sie müssen jeden Monat irgendwie gucken, 2 oder 3 Euro zurückzulegen, damit sie dann eine Anschaffung tätigen können. Das Argument, die Grundsicherung müsse sinken, um mehr Anreiz zu geben, wieder arbeiten zu gehen, ist wirklich völliger Quatsch. Und da wollen wir auch eindeutig was dagegensetzen.

DOMRADIO.DE: "Arbeit muss sich lohnen", hört man ja immer wieder. Und "die Leute, die Bürgergeld beziehen, sitzen dann nur faul auf dem Sofa rum".

Gudrun Nolte

"Die anstehende Erhöhung kann nicht mal die Inflation ausgleichen."

Nolte: Das stimmt nicht. Es ist ja so, dass wir viele Menschen dabei haben, die aufstocken, also die arbeiten gehen, aber eben so wenig Geld verdienen, mit dem sie gar nicht wirklich leben können. Deswegen werden sie mit dem Bürgergeld aufgestockt. Das sind gar nicht so wenige. Und dieser Niedriglohnsektor, der sich in Deutschland in den letzten 30 Jahren breitgemacht hat, ist das große Problem, weil wir Menschen dabei haben, die dann auch wenig Rente bekommen werden.

Eine Altersarmut schieben wir da im Grunde genommen in die nächste Generation, die noch gar nicht abzusehen ist. Deshalb sollten wir eher den Mindestlohn erhöhen und anpassen und Tariftreue für Arbeitsverhältnisse in den Vordergrund stellen, als dass wir jetzt anfangen, beim Bürgergeld zu kürzen. Es wird stattdessen zwar ab Januar 2024 auf 563 Euro erhöht. Aber das kann nicht mal die Inflation ausgleichen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR