domradio.de: Wie ist es dazu gekommen, dass vornehmlich irakische Familien zu Ihnen nach Altena möchten?
Dr. Andreas Hollstein (Bürgermeister von Altena): Das ist eine Anfrage gewesen, die wir aus einer Gemeinde in Essen bekommen haben. Der Hintergrund ist, dass diese Gemeinde einen Ort suchte, an dem sie ihre Gottesdienste abhalten, Gemeindeleben entwickeln und gleichzeitig auch vernünftig leben kann. Viele Punkte waren für die Integration in der Großstadt nicht ideal und nicht so geeignet, wie das vielleicht in den Klein- und Mittelstädten in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland möglich ist.
Deshalb sind sie an uns herangetreten und wir sind natürlich immer Neuem gegenüber aufgeschlossen, auch neuen Mitbürgern. Dann hat es erste Gespräche gegeben und der Schlusspunkt war, dass wir gesagt haben: "Bevor ihr hier blauäugig herkommt, guckt euch die Stadt doch erst einmal an, auf die ihr euch einlasst. Kommt nicht etwa in einem schönen Sommermonat, sondern auch mal wenn es schon ein bisschen kühler ist."
domradio.de: Das passt ja jetzt ganz gut im grauen November.
Hollstein: Genau. Es war auch gleichzeitig Volkstrauertag und trotzdem haben sich elf Familien nicht abhalten lassen, zumindest einmal Interesse zu zeigen. Man muss sicherlich abwarten, ob das wirklich elf Familien sind, die jetzt zuziehen. Einige haben auch schon gesagt, erst im Laufe des nächsten Jahres darüber nachzudenken. Das ist sicherlich kein kurzzeitiger Prozess, aber wir haben mit einer serbisch-orthodoxen Gemeinde in Altena auch ähnliche Erfahrungen gemacht. Dort wohnen heute 15 oder 16 Familien im Ort und die anderen kommen zu den Gottesdiensten dazu.
Sehr schön war, dass unsere katholische Kirchengemeinde St. Matthäus, allen voran Pfarrer Schmalenbach, dann auch gesagt hat: "Ihr könnt unsere Kirche gerne mitbenutzen." Man ist dann übereingekommen, dass das ein Weg wäre, um als Gemeinde vielleicht etwas zufriedener aufgestellt zu sein und vielleicht ein bisschen mehr Integration leben zu können. Die Menschen sind schon zum Teil vier, fünf Jahre hier, sprechen auch größtenteils adäquat Deutsch und sind trotzdem unzufrieden, weil sie im Prinzip nicht mittendrin, sondern eher am Rand der Großstadt gelebt haben.
domradio.de: Die syrisch-katholischen Neuankömmlinge gut zu integrieren, ist das Ziel. Ein bisschen Erfahrung haben Sie - wie gesagt - schon. Wie sind Sie ansonsten gewappnet dafür?
Hollstein: Wir haben ein sehr starkes Ehrenamt. Wir betreiben seit 2005 eine sehr intensive Zusammenarbeit mit der Ehrenamtsorganisation "Stellwerk". Hier werden schon seit vier Jahren ehrenamtliche Sprachkurse für Menschen angeboten, die neu dazukommen. Das Angebot ist niederschwellig, aber trotzdem regelmäßig. Es gibt 14 Lehrerinnen und Lehrer, die sich da Mühe geben.
Wir bringen unsere zugewiesenen Flüchtlinge dezentral unter, also nicht in einzelnen Häusern. Andere Bürger, die aus einer anderen Stadt zuziehen, können frei entscheiden, wohin sie ziehen und müssen ihre Unterkunft auch selbst bezahlen. Für unsere Flüchtlinge, die noch im Verfahren sind, haben wir zugewiesenen Wohnraum in Wohngruppen und dort gibt es jeweils eine Person, die sich ehrenamtlich um diese Wohngruppe kümmert. Bei dem einen ist das Verhältnis enger und bei dem anderen nach einem Jahr etwas weitläufiger geworden.
Wir haben hier eine sehr intensive Mannschaft, die sich neben der Zahlbarmachung und Unterbringung, vor allem auch um die sozialen Belange kümmert. Das können zum Beispiel Zeugnisanerkennungen sein oder Probleme mit Geburtsurkunden. Da sind wir sicherlich nicht anders aufgestellt, als andere kleine Kommunen. Es gibt viele gute Beispiele im gesamten Land NRW. Der Humus ist in einer Kleinstadt aber besser, weil dichtere Netzwerke da sind. Es ist auch mehr soziale Kontrolle als in den Großstädten vorhanden. Stichwort: Ausländerfeindlichkeit.
domradio.de: Die Wohnungssituation ist bei Ihnen wahrscheinlich auch etwas entspannter, als beispielsweise in Essen oder?
Hollstein: Die Wohnungssituation bei uns ist relativ entspannt. Wir haben einen großen Schrumpfungsprozess hinter uns. Das Wohnungsangebot ist immer noch überproportional. Es gibt auch dadurch hier eine "Win-win-Situation". Wohnungen, die bisher leer waren, aber vernünftig geschnitten und auch gute Wohnungen sind, können wiederbelegt werden. Die Menschen, die die Wohnungen vermieten, haben auch wieder Einkünfte und die Menschen, die neu dazukommen, fühlen sich wohl. So könnte man weiter machen. Das ist für beide Seiten eine positive Situation.
domradio.de: Sie haben den Schrumpfungsprozess gerade angesprochen. Altena hat jetzt noch 17.000 Einwohner. In den letzten Jahren hat der demographische Wandel in Ihrer Kleinstadt besonders zugeschlagen. Erhoffen Sie sich auch was von der syrisch-katholischen Gemeinde?
Hollstein: Von jedem Bürger, der neu dazukommt erwarte ich einen Beitrag. Wir haben auch im letzten Jahr, erfreulicherweise, wieder ansteigende Bevölkerungszahlen und das nicht nur durch die Flüchtlinge. Zum Beispiel durch einen anderen Zuzug von Menschen, die neu in unsere Gemeinschaft gekommen sind. Das ist positiv. Aber wie schon erwähnt, kommen dazu auch die anerkannten Flüchtlinge aus Essen, die dann nach drei, vier Jahren entscheiden, ihren Sitz nochmal zu verlegen.
Sie wollen nochmal irgendwo neu anfangen und dabei auch neue Kontakte in einer Gemeinde knüpfen. Wenn in vielleicht 20 oder 25 Jahren die syrisch-katholische Gemeinde, die dann natürlich nach wie vor hauptsächlich aus Irakern besteht, und unsere römisch-katholische Kirchengemeinde ein gemeinsames Pfarrfest machen und trotzdem noch unterschiedliche Liturgien leben, dann ist das doch eine schöne Geschichte.
Ich glaube, dass man anpacken muss. Man muss sehen, dass man den Prozess moderiert und man darf sich nicht durch diesen ganzen Populismus, den es im Moment gibt, verunsichern lassen. Dazu gehören zwar nicht wenige, aber es ist auch, Gott sei Dank, immer noch nicht die Mehrheit. Ich denke, wir werden als vernünftige Menschen in diesem Land alles tun, dass das nicht stattfindet und dass hier weiterhin ein Klima herrscht, das tolerant und auch sicherlich von christlichen oder humanitären Grundsätzen geprägt ist.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.