Bund Katholischer Unternehmer kritisiert AfD scharf

"Wir werden um eine qualifizierte Zuwanderung nicht herumkommen"

Wie lässt sich der Fachkräftemangel in Deutschland beheben? Ein Vorschlag von AfD-Chef Tino Chrupalla lautet, eigenen Nachwuchs zu "generieren". Ulrich Hemel kritisiert nicht nur den Inhalt dieser Forderung, sondern auch die Wortwahl.

Symbolbild Ausbildung im Handwerk / © VanoVasaio (shutterstock)
Symbolbild Ausbildung im Handwerk / © VanoVasaio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der deutschen Wirtschaft fehlen jetzt Fachkräfte. Da bringt Chrupallas Vorschlag erstmal nicht ganz so viel, oder?

Prof. Dr. Ulrich Hemel (Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer / BKU): Wenn heute ein Kind geboren wird, brauchen wir ja mindestens 20, in der Realität oft 25 oder 30 Jahre, bis es in den Berufsprozess eingegliedert werden kann. Das ist eine lange Zeit.

Im Übrigen ist es eine sehr populistische Forderung, denn das Wort "Ein-Kind-Politik", das er benutzt hat, bezieht sich auf China (Chrupalla sagte wörtlich "Wir haben eine de facto Ein-Kind-Politik", Anm. d. Red.). China hat eine solche Politik über eine lange Zeit brutal durchgesetzt. Es war eine diktatorische Maßnahme, bei denen es Familien unter Androhung von Sanktionen quasi verboten war, mehr als ein Kind zu bekommen. Genau das haben wir in Deutschland ja gerade nicht.

Ulrich Hemel, BKU-Vorsitzender / © Harald Oppitz (KNA)
Ulrich Hemel, BKU-Vorsitzender / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was denken Sie denn über den Ausdruck "Nachwuchs generieren"?

Hemel: Nachwuchs wird nicht generiert. Generieren ist ein technischer Begriff und wir müssen auf Sprache schon achten, auch bei uns im allgemeinen Umgang. Kinder werden geboren, Kinder kann man sich wünschen und Kinder sind Teil einer aktiven Familienplanung.

Aber bei der Familienplanung sehen wir, dass kaum mehr als zehn Prozent aller Familien überhaupt drei Kinder haben. Das sind nicht viele. Dazu kommen die Fragen nach Wohnraum und Finanzierung. Das ist schon eine ganze Reihe von Faktoren, die wir hier berücksichtigen müssen.

DOMRADIO.DE: Der AfD geht es vor allem darum, Arbeitsmigration zu vermeiden. Ist so etwas auf der Höhe der Zeit?

Ulrich Hemel

"Gerade Deutschland als Land in der Mitte Europas ist seit vielen, vielen Jahrhunderten ein Land, wo sich viele Menschen treffen."

Hemel: Ganz und gar nicht. Wenn Sie nur an die Tatortserie denken, wo es einen Kommissar Schimanski gab, dann hatte der einen polnischen Namen. Warum? Weil schon in den 1920er Jahren im Bergbau polnische Menschen ins Ruhrgebiet gekommen sind und dort ihre Arbeitsleistung angeboten haben. Gerade Deutschland als Land in der Mitte Europas ist seit vielen, vielen Jahrhunderten ein Land, wo sich viele Menschen treffen. Natürlich auch durch das, was man heute Migration nennt.

Wie unterschiedlich Migration beurteilt werden kann, können Sie an einer ganz einfachen Sache sehen. Wir haben im Deutschen das Wort "Völkerwanderung" für die historische Bewegung von Völkern vor über 1000 Jahren. Wenn Sie das auf Italienisch übersetzen, heißt es dort "Invasioni barbariche". Also die Einwanderung der Barbaren. Und wir sagen "Völkerwanderung". Wir kriegen also ganz unterschiedliche Beleuchtungen auf die Dinge.

Dass wir nun von uns aus einfach neue Menschen gewinnen können, ist schon deswegen ein Trugschluss, weil eine Frau, die ein Kind gebären soll, ja erst mal da sein muss. Wenn Sie aber weniger Frauen haben als vor 30 Jahren und weniger junge Frauen in dem Alter zwischen 15 und 45 Jahren, dann ist das ja eine Aussage über das, was in 20 Jahren überhaupt möglich ist.

DOMRADIO.DE: Einen Fachkräftemangel kann man aber nicht wegdiskutieren. Wie stellen Sie sich vom Bund katholischer Unternehmer einen konstruktiven Umgang mit diesem Problem vor?

Ulrich Hemel

"Wir haben auch Auswanderung aus Deutschland."

Hemel: Wir werden um eine qualifizierte Zuwanderung nicht herumkommen. Aber es gibt auch andere Faktoren. Wir haben auch Auswanderung aus Deutschland, das darf man auch nicht vergessen. Es sind gerade Menschen in qualifizierten Berufen, wie Ärzte und Ärztinnen beispielsweise, die in die Schweiz, nach Großbritannien, nach Skandinavien gehen. Das wird meistens unterschätzt.

Zweitens: Wir haben eine Frage des Arbeitsvolumens. Wir haben im Augenblick 46 Millionen Menschen in einem Beschäftigungsverhältnis. Diese 46 Millionen Menschen arbeiten aber im Arbeitsvolumen genauso viele Stunden wie vor 20 Jahren 41 Millionen Menschen. Das heißt, wir haben auch die Frage: Wie viel Stunden wollen wir eigentlich arbeiten? Da gibt es natürlich sehr wohl einen gesellschaftlichen Wandel. Denn viele Familien, die ich kenne, sagen: "Ich hätte gerne eine Vier-Tage-Woche, denn wir haben keine Unterstützungssysteme in der Familie. Wir müssen viele Dinge selbst erledigen. Insofern käme uns das sehr entgegen, wenn wir nur vier Tage arbeiten könnten." Die allgemeine Diskussion dazu kennen wir ja.

Frauen arbeiten in der Zwischenzeit zu 75 Prozent. Also, hier ist die stille Reserve nicht mehr so hoch. Wir haben ältere Menschen vielleicht in der Reserve. Aber auch diese Diskussion gibt es bereits.

Wir haben also die Frage nach dem Arbeitsvolumen, wie viele Stunden wir arbeiten wollen und können. Und wir haben die Frage nach dem Stopp der Abwanderung qualifizierter Kräfte und dem Einwerben von qualifizierten Kräften nach Deutschland.

Aber auch das ist keineswegs so einfach, wie man sich das vorstellt. Ich erinnere an Versuche, sowohl aus der Bauwirtschaft wie der Pflegewirtschaft, beispielsweise aus Spanien Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu gewinnen. Das ist nicht gelungen, weil die Bedingungen vergleichsweise nicht attraktiver waren als im Heimatland.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Bund Katholischer Unternehmer

Dem 1949 gegründeten Bund Katholischer Unternehmer e.V. (BKU) gehören mehr als 1.100 Inhaber-Unternehmer, Selbstständige und leitende Angestellte an.

Der BKU ist in 34 Diözesangruppen gegliedert. In den Arbeitskreisen des Verbandes entstehen innovative Konzepte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik und zur werteorientierten Führung.

Der BKU wirkt als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Kirche und Politik. (BKU)

Geschäftsfrau am Schreibtisch / © Natee Meepian (shutterstock)
Geschäftsfrau am Schreibtisch / © Natee Meepian ( shutterstock )
Quelle:
DR